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«Wandzeitung» vom 29.4.2015:

Elektronen tragen keine bunten Leibchen:

KOPFSTAND.

Das ewz hat‘s vorgemacht: hundert Prozent Ökostrom pur für alle. Seit kurzem nicht nur aus Stauseen und von Solaranlagen, sondern auch als Windstrom aus der Nordsee. Wie der Strom zu uns kommt? Gute Frage, denn Strom hat zwei charakteristische Eigenschaften: Er lässt sich schlecht aufbewahren und schlecht transportieren: Je weiter weg er produziert wird, um so weniger ist am Zielort übrig.

Ich erinnere mich an die Einführung des Strommix bei den Winterthurer Stadtwerken: Jeder durfte seinen eigenen Stromcocktail zusammenstellen aus Wasser-, Wind-, Sonnen- oder Atomstrom, abhängig von Gesinnung und Budget. Wie Smarties purzelten da plötzlich bunte Elektronen aller Sorten aus der Steckdose. Etwa so sollen wir Konsumenten uns das wohl vorstellen.

Nur: Wie kann ein Anbieter von allen Stromsorten genau genug produzieren, wo doch die Kundschaft ihre Wahl völlig irrational trifft? Da viele Schweizer genug Geld haben, um sich ein ökologisches Gewissen zu kaufen, dürfte der Bedarf an Alternativstrom viel zu hoch sein: Die Anbieter können ihr Versprechen also gar nicht einlösen, oder höchstens als Investitionsauftrag: Ich bekomme den Ökostrom nicht jetzt, aber schon mal die Rechnung dafür.

Aber es ist sowieso alles ganz anders. Da kam ich kürzlich mit einem Herrn ins Gespräch, der sich als Ökostrom-Einkäufer vorstellte. Es herrsche nämlich ein grosses Gerangel unter den Energiekonzernen um Alternativstrom. Für den Sofortbedarf müsse der jeweilige Strom natürlich eingekauft werden. Er hatte soeben einen grossen Deal für seinen Konzern ausgehandelt: Wasserstrom aus Norwegen. Die Norweger haben nämlich viel mehr (teure) Wasserkraft, als sie selber benötigen, aber keinen billigen Atomstrom. Also liefert Norwegen nun der Schweiz teuren Ökostrom und bekommt dafür billigen Atomstrom. Wäre es angesichts der erwähnten Transport-Verluste nicht vernünftiger, die Norweger brauchen ihren eigenen Strom und wir unseren? Der Ökostromeinkäufer glotzte mich ungläubig an. Ja selbstverständlich, was ich mir denn gedacht hätte? Gehandelt werde ausschliesslich mit Zahlen, nicht mit Elektronen. Ins Netz gespeist und verbraucht werde immer der nächstmöglich verfügbare Strom. Und dann sprach der Ökostromeinkäufer den wunderbaren Satz: «Elektronen tragen keine bunten Leibchen.» Vom Moment an, wo ein Elektron ins Netz eingespeist wird, ist es einfach Strom. Es sei, meinte der Einkäufer, als würde man im Meer nach dem Wasser einer bestimmten Quelle suchen wollen. Also, fragte ich beunruhigt, werde ich nie garantiert sauberen Strom in der Steckdose haben? «Ausser Sie koppeln sich vollständig ab und werden eine Energieinsel mit eigener Produktion, eigenem Batteriepark und allem was dazu gehört. Lohnt sich eigentlich erst im Verbund.» Und das hat uns die Physik schon vor hundert Jahren gelehrt: Strom produziert man am idealsten mit Kleinanlagen für autonome Genossenschaften von 20 bis 100 Abnehmern. Aber dann würde mein Gesprächspartner der Ökostromeinkäufer arbeitslos. Das wurde er zwar sowieso: nach Fusion wegrationalisiert. Jetzt arbeitet er beim AKW. Er trägt auch kein farbiges Leibchen.

 

 


Thomas Oeschger,
29.4.2015, 114. Jahrgang, Nr. 119.

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