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«Wandzeitung» vom 6.10.2014:

Wenn das Kind vor den Eltern stirbt, klagt auch der Vater:

Der Teufel soll den Schnitter holen!

Es wäre bös gehäuchelt, wenn ich der Papa, unmittelbar nach dem Tod meines geliebten – knapp vierzigjährigen Sohnes – vor allem religiöse Gefühle zelebrieren würde. Ich empfände dies als im höchsten Masse irritierend, denn der nach dem Kollabieren der Organe eingetretene Exodus meines erwachsenen Kindes löst nebst tiefer Trauer auch ganz banale böse und hilflose Wutanfälle gegen was auch immer aus. Solche unberechenbare Gefühle haben unter normalen Umständen im Alltag wenig Platz. Nach dem Ableben meines Nachkommens aber zürne ich irrational gegen die Realität, gegen das Unwiederbringliche, das nie mehr Erlebbare. Nie mehr kann ich, sein Alter Herr, meinen überaus grossen und schweren Spross von unten her umarmen und spassig mit «sali Büebli» begrüssen oder mit «mein liebster Kleiner». Als männlicher Elternteil habe ich dieses kleine Begrüssungsritual gemeinsam mit meinem mündigen Sohn bei all den unzähligen Begegnungen runninggagartig für lustig empfunden. Wir haben nie schallend gelacht, aber gemeinsam liebevoll sanft geschmunzelt. Doch während 22 langen Jahren quälte das bange Gefühl, die nackte Angst vor dem, was wohl unausweichlich ist, das Kümmern um das extrem mit seinem Dad verbundene Menschlein, jetzt ist’s nur noch Kummer, Gram, vielleicht auch egoistisches Selbstmitleid.

Der herrlich originelle österreichische Liedermacher Ringsgwandl singt lakonisch: «Der Tod ist ein gerechter Mann, obs arm bists oder reich.» Wenn indes der helvetische Drogenhandel mit im Spiel des Lebens und des Ablebens ist, dann ist der Heimgang wohl mit dem Liebesherzblut der Hinterbliebenen veredelt, aber mit Verbrecherblut besudelt.

Es ist, als würden die Wurzeln einer riesigen kräftigen Föhre absterben und nicht deren Krone, die einen alternativen Wipfel treiben lassen kann. Der Familienstammbaum wächst auf Papier weiter: mit einem Bruch im Wurzelbereich. Seltsam, krank, widernatürlich! Der Schicksalsschlag trifft unerbittlich und gewiss nachhaltig. Es ist ein Schatten über mir, klar, aber mein Herz ist nicht leer, es schmerzt und Schmerz bedeutet Leben. Und mein organischer Motor ist voller Liebe zum verlorenen Sohn, der nun gewiss in einer für mich nicht zugänglichen Art weiterlebt. Er ist voller Liebe für meine Familie, für viele mitbedauernden Freunde. Mitgefühl ist im Trauerprozess der einzige Trost! Wenn Kinder vor den Eltern sterben, herrscht keine Gerechtigkeit, es steht das Lebenssystem kopf, und es quält die Geschöpfe mit klopfenden Herzen, es überfällt einen entsetzliche Wirrnis, überwältigendes Gefühlschaos, totale Trauer. Von mir aus soll doch der Teufel jederzeit den Schnitter holen. Zum Wohle der Menschheit.

Dies ist allein die Stimme des traurigen Vaters, es gibt freilich auch die der leidgequälten Mutter, jene der seelengeschundenen Geschwister. Die seiner grossen Schar von Freunden der Wülflinger Clique, die gibt es traurigerweise schon über Dauer nicht mehr. Sie sind allesamt am jahrelangen Konsum schädlicher Substanzen gestorben und haben bei ihren Angehörigen unbeschreibliches Leid hinterlassen. Sie sind alle nicht schuldig!


Guido Blumer,
6.10.2014, 113. Jahrgang, Nr. 123.

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Standpunkte:

7.10.2014, 13:09 Uhr.

Momo Appenzeller schrieb:

Ohne Worte, aber eine dicke Umarmung von der Schwester!


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