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«Wandzeitung» vom 28.10.2015:

Angesichts der Zuwanderungsängste:

Erinnerung an christliche «Basics».

Seit über sechzig Jahren darf ich unsere Erde bewohnen. Das Spezielle an meiner gesamten Lebenszeit: Ich kenne nur äusseren Frieden, zunehmenden Wohlstand, politische Stabilität. Das hat es in der ganzen Menschheitsgeschichte wohl so noch nie gegeben. Ich bin sehr dankbar für dieses Privileg einer materiell gesicherten Existenz. Erstmals seit meiner Geburt verspüre ich ernsthaft Angst, dass sich dieser fast paradiesisch anmutende Zustand ändern könnte.

Was macht mir gegenwärtig solche Angst? Die völlig destabilisierte Lage im Nahen Osten mit einer Reihe «gescheiterter Staaten», die brutale Machtergreifung des Islamischen Staates in Teilen der arabischen Welt und der Terror anderer Milizen, das millionenfache Flüchtlingselend und der sich daraus ergebende immense Strom von Asylsuchenden in Richtung Europa wecken in mir tiefe Befürchtungen, dass unsere heile Welt Risse bekommt. Ich bin nicht allein mit dieser Angst. Die Ergebnisse der eidgenössischen Wahlen sind ein hilfloser Ausdruck eben dieser Angst. Doch ich glaube nicht, dass rechtspopulistische Parolen Rezepte enthalten, die uns einen gangbaren Weg zeigen könnten.

Ich halte mich lieber an christliche «Basics», an Grundimpulse aus dem Glauben. Natürlich sind das auch keine «Zauberformeln», die unsere Probleme einfach so lösen könnten. Aber sie vermögen, uns Orientierung zu geben. Drei möchte ich hier nennen:

1.) Wir haben den Schöpfungsauftrag, weltweit zu einer Menschheitsfamilie zusammenzuwachsen. Die immer schnelleren Verkehrsmittel und Transportwege, die digitale Revolution der Kommunikation, die politischen Zusammenschlüsse zeugen von diesem in uns angelegten «Drang zueinander». Jede Abschottung und Abkapselung steht der Schöpfungsdynamik entgegen.

2.) Jeder Mensch ist uns im Bekenntnis zur Gottebenbildlichkeit Schwester und Bruder. Es gibt nicht zwei oder drei Klassen Menschen. Darum gilt das biblische Gebot der Nächsten- und Fremdenliebe – denn er ist wie du (Übersetzung von Martin Buber für «wie dich selbst»).

3.) Die spezifisch christliche Perspektive ist immer diejenige des Benachteiligten. Nur wer die Situationen durch die Augen der Mitmenschen in Not betrachtet, folgt der Sichtweise Jesu: «Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen – oder eben nicht.»

Ein kluger Autor hat geschrieben, dass sich die jüdisch-christliche Tradition durch so etwas wie eine «Flüchtlings-DNA» auszeichne. Ein bekanntes Glaubensbekenntnis im Alten Testament beginnt so: «Mein Vater war ein heimatloser Armäer.» Gemeint ist Abraham, ein Nomade, der neues Land sucht, heute würden sie ihn wohl als «Wirtschaftsflüchtling» bezeichnen. Später leben die Israeliten als «Fremde» in Ägypten und werden in der Bibel immer wieder daran erinnert: «Ihr seid selber Fremde in Ägypten gewesen.» Schliesslich findet das Christkind keinen Platz in der Herberge und muss mit der Familie vor König Herodes fliehen. Und die ersten Christen nennen sich «Pilger und Gäste» auf Erden mit einem Bürgerrecht im Himmel.


Hugo Gehring,
28.10.2015, 114. Jahrgang, Nr. 301.

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