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«Wandzeitung» vom 30.8.2015:

Festivalwoche:

Paradoxe Konfrontation auf engem Raum.

«Sziget?» Die braunen Knopfaugen blicken mich fragend an.

«Yes, we were 400 000 people who came to see some musicians from all over the world ... Hmmm and you can eat, drink and party there. I’ts a festival you know?»

Ich erröte als ich merke, dass der Mann aus Bangladesch mir gegenüber keine Ahnung hat wovon ich spreche.

Auch mir kommt meine vergangene Festivalwoche plötzlich schrecklich sinnlos und dekadent vor. Wie kann ich einem Flüchtling dieses absurde, festige Treiben erklären, geschweige denn vor ihm rechtfertigen? Mir wird flau im Magen und das liegt nicht am reichlichen Alkohol, der meine Leber in den letzten Tagen tränkte. Ein beklemmendes Gefühl macht sich in mir breit, wie ein enges stahl Korsett schnürt es meinen Brustkorb ein. Der goldene Blick ruht weiterhin fragend, gar verständnislos auf mir. Mein Blick heftet sich ans Zugfenster, ich flüchte. Dicke Regentropfen prasseln an die Scheibe und rollen da in beeindruckenden Rinnsalen hinunter.

Manchmal, wenn mir schlecht ist, weil ich zu viel gegessen habe, kann ich nicht aufhören an fetttriefende, übelriechende Cheeseburger zu denken. Ähnlich hartnäckig verfolgen mich nun Bilder, die mein Missbehagen nur noch steigern. Die Konfrontation ist zu plötzlich und zu hart.

400 000 Menschen die Ballone in die Luft steigen lassen. Freude, Jubel, Freiheit.

Sinn benebelnde Lazershows begleitet von dickem, betäubendem Bass, der bis ins Herz vordringt.

Avicii, der das Publikum auffordert fremde Nachbarn zu umarmen. Überwältigend, Vereinend.

Stände gefüllt mit exorbitanten Burgers und Fleischspiessen.

Junge Menschen, die am Ende tierisch und pervers mit Eisenstangen auf ihre leeren Zelte einprügeln.

Das Festivalgelände verlassen, gewaltige Abfallberge erinnern an das heftige Festen der vergangenen Tage.

Ungaren, die sich zwischen all dem Müll brauchbare Überreste zusammensuchen.

Flüchtlinge, die am Bahnhof Budapest liegen. Der Regen nagt an ihren dünnen Kartonmatten.

Und diese verständnislosen, taxierenden braunen Augen, immer wieder. Diese Augen lassen mich lebendiger denn je spüren, wie nahe grundverschiedene, kontroverse Realitäten aufeinander leben können. Nebeneinander, aneinander vorbei.

Ratternd bringt der Zug seine Passagiere weiter, fährt unbeirrt und zielstrebig. Ich freue mich anzukommen.

 


Seline Dubach,
30.8.2015, 114. Jahrgang, Nr. 242.

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