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«Wandzeitung» vom 13.4.2016:

Der Mensch bleibt in der organischen und anorganischen Evolution eingebunden:

Die getretene Welt.

Ich sass ich wie jeden Tag am Tisch im Atelier vor einem weissen Blatt Papier. Als Motiv, in den letzten 24 Stunden gedanklich erarbeitet, hatte ich Menschen und die Welt. Vom unteren Rand des Blattes baute ich eine Halbkugel. Darauf entwarf ich drei semiabstrakte, schmale, dünne, drahtige Gestalten, die den Menschen am Anfang des 21. Jahrhunderts verkörpern. Das war eigentlich bereits das Gedankengebäude, das visualisiert werden sollte. Nachdem die Skizze fertig war, begann ich mit dem Farbauftrag an der Halbkugel im obersten Teil, dort wo die Figuren mit ihren Schuhen in Kontakt mit der Oberfläche kamen. Weil die ganze Arbeit zweidimensional konzipiert war, gab es zwischen Schuhen und Halbkugel darstellerische und räumliche Probleme zu lösen. Wie tritt der Mensch auf einer flachen Kugel – ein Widerspruch an sich – auf, und was tat er, tut er und was wird er auslösen auf der Erde und im Universum? Ich erinnere mich an Max Frischs «Der Mensch erscheint im Holozän».

Der Entschluss ist gefasst: Die Schuhe werden die Oberfläche der Welt leicht, doch für den aufmerksamen Betrachter unübersehbar ritzen. Warum diese feine, melodiöse, zarte Versinnbildlichung? Es scheint, der Konflikt zwischen dem Menschen und der Schöpfung sei gravierend, unüberbrückbar und für beide langfristig lebensbedrohend. Die Diskussion über den Feinstaub in den europäischen Ballungszentren wie auch in Peking diesen Winter zeigte deutlich, wie egomanisch sich der Mensch verhält, seinen Verstand ausschaltet, nur seinen automobilen Trieb befriedigen will und seine Gesundheit und das Wohl der Natur sträflich vernachlässigt. Die Umweltzerstörung durch den Menschen zeigt kaum sein ganzes Verhältnis zwischen Mensch und Kosmos auf.

Ich hinterfrage meine Darstellungsweise und spinne meine Gedanken weiter. Der Mensch müht sich täglich ab, seine persönliche Lebensgrundlage sicher zu stellen. Einerseits pflegt er die Natur auf mannigfaltige Weise; gleichzeitig zerstört er in seiner Umwelt die Luft, das Wasser und den Boden. Seine Beziehung zur Schöpfung, zum Schöpfungsprozess, zum Schöpfer oder zum Organisationssystem der Schöpfung wird mittels verschiedenster Glaubensrichtungen, der Philosophie und der Naturwissenschaften instrumentalisiert. Das All, die Welt, die Erde war und ist dem Menschen eminent wichtig. Er setzt sich je nach Intellekt intensiv damit auseinander und fühlt aus dem Unterbewusstsein kommende, in den Genen aus der Urzeit fixierte Verantwortung. Einfach so heraus stehlen kann er sich da nicht, wenn er es auch immer wieder versucht: Mit Beschwichtigungen, Ausreden, Schönfärberei, Verniedlichung und schlimmer noch: mit Verdrehungen gesicherter Tatsachen, mit plumpen Lügen, im Extremfall mit Betrug. Methoden des politischen Geschäftes.

Zum Glück gibt es ein kollektives Gewissen, schwer zu beschreiben, was das ist, es meldet sich immer wieder bei Einzelnen, in Organen der Gesellschaft: Kirchen, Parteien, NGOs, Parlamenten und Regierungen. Selbst wenn es Jahrzehnte lang malträtiert wird, wie in der Sowjetunion, lässt es sich nicht ausrotten. Ein Lichtblick für die Zuversicht, dass der Mensch in der organischen und anorganischen Evolution eingebunden bleibt; nicht Herr der Schöpfung wird, sie nur beeinflusst, ein wenig ritzt.


Pierre-François Bocion,
13.4.2016, 115. Jahrgang, Nr. 104.

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