Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 24.11.2014:

Hetzen und stressen im Pflegealltag:

Wo ist die Unterstützung?

Wie Fliessbandarbeit kommt sie mir momentan vor, meine eigentlich wunderbare Arbeitsstelle in einem Alterszentrum der Stadt Winterthur. Ich bin noch jung, arbeite erst seit knapp zweieinhalb Jahren in der Pflege und fühle mich bereits jetzt wie eine Maschine, die alle Lasten auf sich nehmen soll.

Unsere Wohngruppe besteht aus 41 älteren Menschen. Auch wenn «nur ein Drittel aller Bewohner» voll pflegebedürftig ist, benötigt jeder einzelne Mensch auf seine Art und Weise Zuwendung und Hilfe von unserem Pflegeteam. Da viele Leute aufgrund schwieriger Familienverhältnissen oder bereits verstorbener Angehöriger und Bekannten sehr einsam sind, werden kleine Aufmerksamkeiten auf Seite des Pflegeteams von den Seniorinnen und Senioren sehr geschätzt. Dies gehört meiner Meinung nach auch zur Aufgabe eines qualifizierten Pflegebetriebs. Bis vor kurzem waren wir deshalb im Frühdienst zu viert eingeteilt und konnten die 41 Bewohner sehr ausgeglichen untereinander aufteilen. Doch selbst dann standen wir sehr häufig unter Zeitdruck. Letzte Woche wurde uns eine neue Regel vorgestellt: Aufgrund des grossen Teams von 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und im Verhältnis zu anderen Alterszentren der Stadt Winterthur wenig Pflegebedürftigen, arbeiten ab sofort nur noch 3 Mitarbeiter im Frühdienst. Ich befürchtete sofort das Schlimmste was sich bereits nach kurzer Zeit bestätigte. Weil die Belastung stark gestiegen ist, fielen schon wenige Tage später Mitarbeiter wegen Krankheit aus. Zusätzlich wurde einer sehr treuen Arbeitskollegin die Stelle in unserem Altersheim gekündigt weil, wie bereits erwähnt, unser Pflegeteam zu gross ist.

Statt einfühlsamer und ressourcenorientierter Pflege müssen wir von einem Bewohner zum nächsten hetzen und vergessen schlimmstenfalls die Hälfte der Handlungen die wir durchführen mussten. Ich bin derzeit im zweiten Ausbildungsjahr zur Fachfrau Gesundheit und habe bereits einiges über diesen wunderbaren Beruf erlernen dürfen. Es macht mich gerade deshalb sehr traurig, dass ich dies in der Praxis nicht anwenden und vertiefen kann, weil uns einfach zu wenig Zeit bleibt. So oft habe ich es erlebt, dass ich mit einem unguten Gefühl in den Feierabend gegangen bin, da ich glaubte, unsere Bewohnerinnen und Bewohner im Stich gelassen zu haben. Sich 20 Minuten Zeit nehmen und einem Bewohner die Aufmerksamkeit geben die ihm zusteht, ist möglich.

Mir ist bewusst, dass es die Stadt Winterthur mit ihren Schulden momentan nicht leicht hat, und ich verstehe auch, dass es deshalb Konsequenzen gibt. Was für mich jedoch sehr schwierig nachzuvollziehen ist und mir schon sehr oft auf den Magen geschlagen hat, ist die Tatsache, dass vorallem diejenigen darunter leiden müssen die doch am wenigsten dafür können und das sind unsere Seniorinnen und Senioren.


Indira Weber,
24.11.2014, 113. Jahrgang, Nr. 172.

Artikel als PDF downloaden

Standpunkte:

27.11.2014, 10:52 Uhr.

Rosmarie Schoop schrieb:

Bin schockiert. Dass die Sparmassnahmen in wahrscheinlich jeder Berusfsparte so schwer greifen! Vieles schluckt man, aber nein, wenn Menschen, die wirklich nichts dafür können, darunter leiden, ist das ein Verstoss gegen das Menschenrecht! 20 Minuten Zuwendung pro Tag und älterem Mensch, das sollte drinliegen, oder? Es ist ein Armutszeugnis für ein Land, wenn die Menschenwürde und das Wohl der älteren und kranken Menschen nicht an oberster Stelle steht. Tatkräftig helfen kann ich hier schlecht, aber ich würde auf die Strasse, um zu fordern, dass älteren und kranken Menschen die Zuwendung zusteht seitens Pflepersonal, die sie brauchen. Auch tut es mir weh, dass schon Auszubildende unter der Tatsache leiden, dass sie schlicht und einfach keine Zeit haben, sich mit ihren PatientInnen auseinanderzusetzen. Absolut unhaltbar!


25.11.2014, 14:32 Uhr.

Pierre-François Bocion schrieb:

Wo ist die Unterstützung durch die MitbürgerInnen die ein Gemeinwesen bilden? Warum tut ein grosser Teil zu wenig? Wie viele helfen Ihren Angehörigen die aus irgend einem Grund in Not geraten sind zu wenig? Als Vater von zwei schwer kranken Kindern war es schwer – nicht nur finanziell – immer wieder, von neuem zu Helfen. Die Verzweiflung war oft mein Begleiter. Wenn alle Ihre Pflicht tun würden, wäre in den Alters-und Pflegeheimen nicht eine grosse zwischenmenschliche Not. Die Pflegenden könnten entlastet werden.


Veröffentlichen Sie Ihren

Standpunkt*:

Verbleibende Zeichen: 777 von 777

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.