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«Wandzeitung» vom 3.9.2016:

Üble Zeiten:

HHhH.

Was heisst das? Ich habe unter Freunden und Bekannten herumgefragt, erfolglos. HHhH: Da kamen originelle Versionen, weit weg von der richtigen Antwort. Ich habe ein wenig geholfen, indem ich den Umschlag des Buches gezeigt habe: Eine Militärmütze aus alten Zeiten. Da kamen Antworten wie «Heil Hitler» usw. Das Buch, rund 400 Seiten, hat Laurent Binet geschrieben, ein Franzose, der an verschiednen Instituten lehrt und gelehrt hat.

Es ist ein unglaubliches Buch, das man kaum aus der Hand legen kann: Der Autor geht den Jahren zwischen 1936 und 1945 auf den Grund, recherchiert, reist, besucht praktisch alle Orte, an denen Hitler und seine Kumpane ihr fürchterliches Werk getrieben haben. Nicht nur Auschwitz und Buchenwald kommen vor, sondern insbesondere die Besetzung der Tschechoslowakei und der Stadt Prag. Natürlich gibt es unzählige Veröffentlichungen zu dieser Zeit, aber keine andere erreicht diese Intensität, diese Präzision in den Beschreibungen der noch vorhandenen Zeugen und Zeugnissen wie dieser Roman. Es ist kein Zufall, dass Laurent Binet den Goncourt-Preis für den ersten Roman erhalten hat. Reinhard Heydrich war der selbsternannte Gouverneur und König der Stadt Prag, logierte im Schloss, hielt Hof und reiste zwischen Berlin und Prag, um seine Gespräche mit seinem Chef Adolf Hitler zu führen. Heydrich war ganz klar Nummer Zwei, was eigentlich Himmler sein wollte und sollte. Nur: Himmler hatte offenbar nicht genug Grütze, um Hitlers Pläne konsequent durchzuführen.

Darum musste der scharfe Denker Heydrich ran. «HHhH: Himmlers Hirn heisst Heydrich». Pikant ist daran, dass Heydrich ganz offenbar jüdische Wurzeln hatte, die man geflissentlich überging – denn er war offenbar nicht nur grausam, sondern schnell denkend und handelnd und ebenso gewandt.

Im Buch geht es um die Durchführung des Attentats, das zwei Männer verüben sollten. Mit einer ungeheuren Spannung erwartet der Leser das Ereignis, das immer wieder herausgeschoben werden muss, da die Karosse von Heydrich oft mit starker Bewachung durch die Gegend fuhr. Ein Verräter unter Heydrichs Personal sorgte dann für die Durchführung, die allerdings nicht ganz und sofort gelingen sollte; Heydrich war nicht lebensgefährlich getroffen worden, doch eine Wundinfektion im Spital führte dann doch zu seinem Ende.

In diesem grossartigen Werk Binets geht es nicht nur um die Endlösung der Judenfrage, Binet hat erforscht, was zwischen den Deportationsplänen und der Ermordung des gesamten jüdischen Volkes abgelaufen ist. Das Buch ist nicht nur politisch lesenswert, Binet ist nicht nur ein Thriller-Schreiber (das Buch könnte ganz gut ein Thriller sein), sondern ein wunderbarer Poet, wenn es um Land- und Liebschaften geht. Was man nebenbei erfährt: In Kosice, in der Slowakei, seien die schönsten Frauen Europas anzutreffen. Der Autor hat genau dort seine grosse Liebe gefunden und geheiratet, seine Natascha.

Laurent Binet gibt es im Moment nur auf Französisch. Das andere Buch von ihm, das man ebenfalls lesen sollte: «La septième fonction du langage» – fast ein Spionage-Roman, mit tiefem philosophischem Hintergrund. Berset sagt’s ja: Parlons Français!


André Bernhard,
3.9.2016, 115. Jahrgang, Nr. 247.

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