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«Wandzeitung» vom 17.7.2016:

Unterwegs:

Mal fremd – mal Gast.

Als Reisender ist man immer wieder Unsicherheiten ausgesetzt – und gerade das macht den Reiz aus. Neues fern vom Trott und vom Bekanntem: Land und Leute, Geschichten und Gepflogenheiten, Realitäten und Irrealitäten – alles kontrastiert mit deinen Lebenserfahrungen, ergänzt sie, erweitert sie und fordert dich auf über Gesellschaft und Leben nachzudenken.

Ob dir für die Nacht ein Fremdenzimmer oder ein Gastzimmer angeboten wird, ist bereits eine Aussage. Es gibt ja auch Gegenden, bei denen sich heute wohl alle ein bisschen fremd vorkommen. Anders kann ich mir die vielen entvölkerten Dörfer, die wir in der ehemaligen DDR durchradelt haben einfach nicht vorstellen. Da gibt es keinen Laden, keine Beiz, da triffst du kaum jemanden auf der Strasse. Zwar hat es unheimlich fruchtbares Land, doch wer will heute noch bauern, das ist doch brotlos verglichen mit all den Bürojobs in der Stadt. An der Ostseeküste läuft das schon ganz anders. Da ist es schon professionell auf dein Gastsein ausgerichtet. Das merkst du schnell an den kilometerlangen Promenaden, an denen du unendlich viel Plastikspielwaren, Modeschmuck, Souvenirs, Glaces, Schnellpizzas und was weiss ich nicht noch alles kaufen kannst. Ist es wirklich ein Vergnügen in den Ferien Ramsch zu «lädelen», oder wurde das uns einfach geschickt anerzogen? Als Entschädigung eine herrliche Kulisse, aber allzuoft halt eben nur dort, wo der Mensch noch nicht hingebaut hat.

Ich frage mich einmal mehr, ob und wann wohl der Zusammenbruch des anderen sogenannten Wertesystems kommt. Wird fruchtbarer Boden mal wieder mehr Wert haben als all unser Geld – Geld das den Selbstzweck hat, dass es umgewälzt wird und sich virtuell in Put-, Callaktien, Derivaten oder Scheinfirmen auf wundersame Weise vermehrt?

Manchmal fühle ich mich einfach fremd in diesem Tun. Es gibt aber genau auf Reisen die Ruhe, welche die anderen Seiten in den Vordergrund rücken. Es gibt sie doch immer wieder, diese Bindung zum Echten. Da sind Leute, die Land und Wohnort so lieben, dass sie dir als Gast all ihre schönsten Plätze erschliessen wollen.

Da triffst du Leute, die Zeit für die Augenblicke haben. Da triffst du auf neue und alte Spuren der Geschichte. Natürlich auf die ganzen Tragödien, welche uns mahnen müssen. Aber man findet eben auch die Spuren der wirklichen Verbesserung und Verschönerung: Kunst, Architektur, Erfindungen und ganz grosse und besondere Menschen und gemeinschaftliche Bewegungen. In diesem Sinn lernt mich das Fremde und es lädt mich auch als Gast ein teilzunehmen. In diesem Sinne wünsche ich allen Ferien mit viel Berührungen zum Fremden.

 


Christoph Baumann,
17.7.2016, 115. Jahrgang, Nr. 199.

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