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«Wandzeitung» vom 29.6.2014:

Das Leben bringt Musik:

Neulich beim Warten.

Neulich, just am 11. Todestag meiner Jugendliebe, als es mir einfach nicht um WM war (wie sonst auch nie – dies würde ich jedoch nie zugeben), und ich, da es meinen herzallerliebsten Innigsten um WM war, so rumzappte und nach alternativen Programmen gegen Langeweile und gegen Grübeleien zum Solo gucken suchte, stiess ich auf einen traumhaften Indi-Film – und dabei auf etwas Essenzielles, was mir in meinem Leben fehlte: Musik. Weder höre ich sie noch produziere ich sie und das, obwohl die Hälfte meiner direkten Abstammung einer Musikerfamilie entspringt.

Das vertane Talent ist schon eine Schande. Zu meiner Verteidigung – mir selber gegenüber – will ich aber festhalten, dass die traumatisierenden Umarmungen des adipösen Musiklehrers von Klavierstunde zu Klavierstunde, dessen Hemd von Knopf zu Knopf seinen grossen festen Bauch entblöste, das Ihre dazu beitrugen, dass ich mich frühkindlichst aus diesem Business verzog.

Das exzessive Tanzen zu ohrenbetäubender Musik, Freitag-Samstag für Freitag-Samstag, liegen etliche Jahre zurück, obwohl ich immer so gerne tanzte. Rhythmus und Melodie hatten sich einfach aus meinem Leben entfernt. Was machte mich die indische Lovestory glücklich, was für guten Stoff die haben! Welch ungemein charmante, aber schlechte Schauspieler, aber so erfüllend schöne Musik! Gefühle, Freundschaft, Ehre, Würde, Schönheit, Tanz und Musik: Mein im Rhythmus gestörtes Herz schlug plötzlich leicht und fröhlich im Takt.

Und mir ging auf, dass ich in meinem Leben immer wartete. Erst wartete ich nur bis ich Filme ab 18 Jahren im Kino schauen konnte, dann auf den Richtigen, aufs Glück, auf einen guten Job, gute Freunde, besseres Aussehen, Verbundenheit, Intelligenz und darauf, dass ich Auto fahren und Sprachen sprechen kann, dass mir Fehler verziehen werden, dass mein geliebter Bruder drogenfrei wird, dass ich lieber und umgänglicher werde, dass die Schwermut weicht, dass ich fröhlich bin, dass ich gute Freundschaften pflege, dass ich eine grosse Familie gründe, dass ich eine gute Mutter werde, dass ich irgendwo dazu gehöre, dass sich Menschen nicht verletzen, dass ich meine Würde behalte, dass ich Selbstachtung gewinne, dass ich reif, erleuchtet, selbstlos und dabei nicht abgehoben werde, dass die Gewinnermannschaft an der WM nicht so schamlos jubelt, dass ich musizieren kann, im Lotto gewinne – überhaupt mal spiele, dass wir alle ein besseres Leben führen, ja dass es Morgen und dann auch wieder Abend wird.

Ich wartete darauf, anfänglich zuversichtlich, nein in Gewissheit sogar, dass ich das Leben nicht vergeuden werde, dass mir das Leben das Allerbeste entgegenbringen wird. Und dass dies alles kommt, von alleine. Fliesst wie Musik – leicht und frei! Es ist ein Schritt weg vom passiven Warten, dass wir Turteltauben diesen Sommer einige Wochen nach Afrika reisen, auf den Kontinent meiner Kindheitsträume, meiner unerfüllten Sehnsüchte. Ich freue mich wie verrückt auf Farben, Düfte, Sand, Affenbrotbäume, Meer. Und es ist allerhöchste Eisenbahn für Musik.


Lilian Setenou,
29.6.2014, 113. Jahrgang, Nr. 24.

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