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«Wandzeitung» vom 10.8.2016:

Wer gut gelaunt ist, der tendiert weniger dazu andere zu töten:

Die Fliege.

Da, genau hier will sie hin. Rote Lilien schimmern in der Sommersonne, Fresien in allen Farben versprühen ihren Duft in der Luft und Gladiolen lassen sich von einem Lüftchen schwingen. Eigentlich sind ihr Blumen egal. Ein netter Nebeneffekt. Ein Mann sitzt am Tisch, neben ihm eine Tasse schwarzer Kaffee, in der Hand die Zeitung. Eine Linkskurve, das Tempo drosseln und schon sitzt sie auf der Schulter des Mannes.

Geiselnahme in der Kirche steht in der Zeitung. Noch vor wenigen Tagen hat ein Jugendlicher ein Massaker verrichtet und wenige Tage zuvor ist ein Irrer in eine Menschenmasse gefahren. Sie schüttelt ihre Fühler. Die sind doch alle vom Affen gebissen, denkt sie. Besser wäre es, wenn ihre Kollegin Tse Tse die Menschheit kollektiv mal beissen würde. Dann würden alle mal so richtig durchschlafen und vielleicht sogar was Nettes träumen und sicherlich ausgeruhter und besser gelaunt aufwachen. Und wer gut gelaunt ist, der tendiert weniger dazu andere zu töten.

Der Mann nimmt ein Schluck Kaffee und verschluckt sich fast, wenn er liest was in der Türkei abgeht. Todesstrafe wieder einführen, Professoren und Journalisten, die verfolgt werden, ein vermeintlicher Putsch der Tote und Blut hinterlässt. Sie, die Fliege, versteht ja nicht viel von Weltpolitik. Aber, wenn es einen Putsch gibt, der dilettantischer und schlechter durchgeführt nicht hätte sein können, und dann der regierende Präsident Erdogan als Gewinner aus der ganzen Geschichte herauskommt, dann scheint es fast so, als wäre der Putsch inszeniert worden.

Besonders, wenn dann Rechte nicht mehr gelten und die Freiheit eingeschränkt wird. Noch mehr. Sie, die Fliege, war schon mehrmals in der Türkei. Es hat ihr immer gefallen dort. Wie die exotischen Gewürze riechen, wie die Menschen herzlich miteinander lachen, wie die Sonne das Meer küsst. Nun riecht es nach Angst, die Menschen fürchten sich von einander und das Meer ist rot vom vielen vergossenen Blut.

Eine Träne kugelt aus dem linke Auge der Fliege. Es ist eine klitzekleine Träne. Doch sie erreicht die Schulter des Mannes, der entnervt nach der Fliege langt.

Weiterfliegen, weiterkreisen, weiterdenken. Ein Kind ruft nach der Mutter, heiss flimmert der Asphalt, am Brunnen trinkt ein Hund, eine alte Frau verkauft Aprikosen. Was für eine Zukunft erwartet das Kind, fragt sich die Fliege. Sie weiss ja nicht besonders viel über die Zukunft, aber so wie es jetzt aussieht, scheint sie nicht besonders rosig zu werden. Es gab auch früher Böse und Gute, doch sie waren im Gegensatz zu heute definierter. Der Feind war greifbarer. Heute lauert hinter jedem noch so liebschauenden Menschen die Gefahr. Mehr Schlaf, mehr Träume, mehr Liebe braucht der Mensch.

Sie macht sich auf den Weg nach Afrika, um Tse Tse zu finden. Vielleicht hat die eine gute Idee, wie man die Menschheit retten könnte. Vielleicht kommt ihr auf der Reise nach Afrika selber den treffenden Einfall, wer weiss. Neue Lüfte und Himmel haben noch jeden Horizont erweitert.


Oriana Ziegler-Somarriba,
10.8.2016, 115. Jahrgang, Nr. 223.

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