Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 15.10.2016:

Nicht dazu gehören

Ihr dort in eurem Europa!

Diesen Satz bekomme ich in Russland oft zu hören, wenn in einer Diskussion über Politik oder Kultur die Argumente ausgegangen sind. Dann versuche ich in der Regel zu erklären, dass ich Russland eigentlich auch als einen Teil von Europa betrachte. Darauf wird mir sofort in aller Deutlichkeit erklärt, dass St. Petersburg noch lange nicht Russland sei und ich Russland gar nicht kennen würde. Das habe ich zu akzeptieren.

Gross ist in der Regel das Staunen darüber, dass die Schweiz zwar zu Schengen, aber nicht zur EU gehört und dass die Schweizer ihren eigenen Krampf in der Europa-Frage haben. Nicht dazu gehören, obwohl man sich vielleicht zugehörig fühlt - dieser Zwiespalt plagt auch viele Russen. Die Frage, wo Europas Grenzen verlaufen, wurde durch den neuen Kalten Krieg wieder brandaktuell, um so mehr, dass viele finden, Europa sei geistig zu einem US-Bundesstaat verkommen. Es geht aber vielmehr um Europa im geistig-kulturellen Sinn als um die EU.

Für Russland, das von der Grösse her einen eigenen, riesigen Kontinent bildet, hängt die Europa-Frage seit je her von der oft unerwiderten Gegenliebe von westlicher Seite ab. Wird man geschätzt und akzeptiert wie man ist, steigt das Europa-Rating automatisch an. Fühlt man sich manipuliert und ausgenutzt, bläst man sich trotzig zum eurasischen Superkontinent auf und versucht dem "feindlichen" Europa das Wasser abzugraben.

Wie dabei andere europäische Staaten, die sich ausgestossen fühlen, zwischen die geistigen Fronten geraten, erlebte ich kürzlich bei einer Reise in die serbische Hauptstadt Belgrad. Auf den ersten Blick eindeutig eine europäische Stadt - doch im Zentrum klafft eine Wunde - die Bombenruinen der Nato-Angriffe von 1999, die man wie ein historisches Mahnmal konserviert hat. Sie stehen noch heute wie ein riesiges Fragezeichen und stellen die Frage "Warum?!" Die Bombenangriffe, die während des Kosovokriegs als Schlag gegen das Milosevic-Regime gedacht waren, sind im Westen längst vergessen, in Serbien aber keineswegs. Das Land fühlt sich für alle Fehler des Jugoslawien-Konflikts verantwortlich gemacht und wie ein Schulbub in die Ecke gestellt.

Serbien ist zwar offizieller EU-Beitrittskandidat, aber in seiner Seele zutiefst gespalten. Symbolisch dafür steht die Ermordung des europäisch orientierten Präsidenten Zoran Đinđić von 2003. Die Unsicherheit wird durch die innere EU-Krise einerseits und die zaghafte wirtschaftliche Entwicklung des durch den Bürgerkrieg ausgepowerten Landes verstärkt. Dieses Europa liebt nicht, es fordert, stellt harte Bedingungen. Das, obwohl sich Serbien während der Flüchtlingskrise weitaus "europäischer" verhielt als beispielsweise das benachbarte Ungarn.

Um so empfänglicher ist man für die Lockrufe von russischer Seite. Wer durch Belgrad spaziert, stösst neben den Tankstellen des Energiegiganten Lukoil auf riesige Transparente der staatlichen Bahn RZD, welche die Zusammenarbeit mit Serbien proklamieren. Seien die Losungen auch noch so platt, sie treffen in die tiefe europäische Wunde jener, die zwar dazugehören möchten, aber ständig darum bitten müssen.


Eugen von Arb,
15.10.2016, 115. Jahrgang, Nr. 289.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.