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«Wandzeitung» vom 15.11.2016:

Was der Russe nicht kennt, feiert er nicht:

Halloween oder Hanukkah?!

Erst machte ich ein langes Gesicht, als ich am letzten Oktoberwochenende meiner russischen Schwiegermutter zuhörte, die von einem Besuch bei der Nachbarin zurückgekehrt war. Sie erzählte von irgendeinem jüdischen Fest, dessen Name mit «H» beginne, und das nun an allen Schulen gefeiert werden solle. Warum wir nun alle wie die Juden feiern sollten, fragte sie mich. Man könne doch nicht alles Fremde übernehmen?!

Dann musste ich laut herauslachen, denn es stellte sich heraus, dass die Nachbarin von ihrer Tochter erzählte hatte, die sich wegen ihres russisch-orthodoxen Glaubens weigerte, ihre Kinder an der Halloween-Party in der Schule teilnehmen zu lassen. Irgendwer hatte dabei Halloween mit Hanukkah, dem jüdischen Lichterfest verwechselt, was bei dem weit verbreiteten Antisemitismus gerade unter den Russisch-orthodoxen wenig erstaunt.

Meiner Schwiegermutter war es natürlich peinlich, hatte sie sich doch gerade ihrem Schweizer Schwiegersohn gegenüber als komplette Hinterwäldlerin geoutet. Doch im Prinzip ist diese Abwehrhaltung gegenüber allem Neuen und Fremden für ihre Generation sehr typisch und sehr sowjetisch.

«Sowjetisch», das wird heute von den meisten mit «russisch» übersetzt, wobei sich gewisse Probleme ergeben. Denn gerade das sowjetische System hat jahrzehntelang versucht, alles, was die russische Identität verkörpert, auszumerzen. Dazu gehörten auch viele traditionelle Feste, unter anderem Weihnachten, das gewissermassen durch das Neujahrsfest ersetzt wurde.

Diesen Verlust an kulturellen Wurzeln versucht die russisch-orthodoxe Kirche heute nach Kräften wettzumachen und wird von der Regierung nach Kräften unterstützt. Dabei wird gerne übersehen, dass zum russischen Volk auch Muslime, Juden, Buddhisten und andere Glaubensrichtungen gehören. Minderheiten und ihre Bräuche werden, wenn überhaupt, am Rande erwähnt. Angestrebt wird eine Normierung nach sowjetischem Muster, und da stören solche «Ausnahmen» nur.

Wenn nötig werden sie verteufelt und verboten – vor allem wenn es sich noch dazu um ein Phänomen wie Halloween handelt, das für viele der Inbegriff dekadenter amerikanischer Kultur darstellt. Bereits ist eine Untersuchung im Gange, ob sich dieses «Hexenfest» nicht gegen die Kirche richte und daher verboten werden müsse.

Der vorauseilende Gehorsam bewirkt Wunder, und in vielen Regionen Russlands gaben die Behörden schon in diesem Jahr «Empfehlungen» an die Schulen ab, Halloween nicht zu feiern, was faktisch einem Verbot gleichkommt. Es ist darum ziemlich unwichtig, was die Untersuchung durch Juristen, Wissenschaftler und Kirchenleute letztlich ergibt.

Aber auch die Argumentation der Gegner eines Verbots tönen wenig ermutigend, denn den wenigsten geht es um den Verlust an Toleranz in der Gesellschaft. Als Hauptargument wird angeführt, dass es schwierig sei, ein Fest zu verbieten, das praktisch von niemandem gefeiert werde.

 


Eugen von Arb,
15.11.2016, 115. Jahrgang, Nr. 320.

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