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«Wandzeitung» vom 18.8.2016:

Alltägliches:

Nabelschau.

Meine Leidenschaft ist der Stoffwechsel. Jetzt, wo sich die Sommertage meist versöhnlich zeigen, Fleischberge die Bäder füllen und auch auf der Strasse viel nackte Haut zu sehen ist, gibt’s allerhand zu staunen. Sowie eine Vielfalt an Gerüchen wahrzunehmen. Die einen enthüllen sich aus rein praktischen Gründen, andere wiederum um sich zu präsentieren oder auf Beutezug zu gehen. Der Wohlstandsgesellschaft stehen etliche Mittel zur Verfügung, um sich aufzuhübschen oder zu verkleiden. Stoffe, um sich zu verhüllen, Einblicke zu gewähren oder Akzente zu setzen. Haardesgin, welchem keine Grenzen gesetzt ist, allen Zeitepochen und Stilrichtungen zu ehren. Farben fürs edle Haupt und die Haut, drauf gearbeitet oder darunter gestochen. Edelmetalle, darauf geklatscht oder im Fleisch verankert, je nach Belieben und Bedarf.

Auch ich mache mir täglich Gedanken, wie ich mich auf der Strasse zeigen mag. Je nach Stimmung und sehr individuell. Mal bunt, mal unscheinbar, mal Ton in Ton, mal fröhlich, mal bieder. Es macht mir Spass mit Materialien zu spielen, da ich sonst ein eher ernsthafter Mensch bin. Es ist mir egal, ob ich zu alt bin, gewisse Klamotten zu tragen, ich wähle das, was mir Grösse-technisch passt und gefällt. Volumenmässig bin ich zum Glück nur kleinen Schwankungen unterlegen, was auch ein Nachteil ist. Die Kleiderberge sind über die Jahre nicht kleiner geworden, der Verschleiss ist gering. Aber ich will meinem Motto; was ein Jahr nicht getragen worden ist kann weg, treu bleiben. Ich bemühe mich jedes Stück im Kleiderschrank im Wechsel zu berücksichtigen.

Während es früher Banden, Matrosen und Knastis vorbehalten war, ihre Zugehörigkeit und Gesinnung mit einem Tattoo zu demonstrieren, macht dies leider nun gefühlte Vierfünftel der Bevölkerung. Plötzlich wollten alle narzisstisch sein und es ist aus dem Ruder gelaufen. Mein eigenes Verhalten landete leider mitten in diesem Trend. Schon vor 24 Jahren keimte in mir der Wunsch, ein von mir kreiertes Etwas auf meinem Körper zu verewigen. Es sollte unbedingt eine Aussage haben, für mich persönlich. Und verhüllt werden können, wenn es die Umstände erfordern. Ich wollte in mich gehen und warten, bis sich mein Sujet zeigte. Dieser Prozess dauerte einige Jahre. Es ging von indianischen über keltische Symbole bis zu einem alten Buch, das ich plötzlich vor mir sah. Ich staunte über die offenen Seiten, die mir mein geistiges Auge präsentierte. Aber irgendetwas stimmte noch nicht. Erst als sich das Buch umdrehte und ich den Buchdeckel sah wusste ich, das ist es jetzt.

Ich stehe nicht auf Schmerzen, wie viele Tätowierte. Drum war das Eine auch einige Jahre das Einzige. Doch dann erschien in mir ein neues Bild, das einer Schatztruhe. Es war gefüllt mit den Anfangsbuchstaben meiner Liebsten. Leider verstarb mein Farbenkünstler vor meiner geplanten Sitzung und ich musste einen anderen Tollen, suchen. Über Geschmack lässt sich also streiten, darum beobachte ich heute mit Interesse, was andere so auf sich tragen. Ich weiss, dass ich meine Zeichnungen auch noch auf mir haben will, wenn ich schwabbelig und schrumpelig bin. Und sonst hab ich viel Gewand.


Momo Appenzeller,
18.8.2016, 115. Jahrgang, Nr. 231.

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