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«Wandzeitung» vom 9.1.2016:

EIN SATZ:

Backe, backe Kuchen.

Wer will guten Kuchen backen, der muss haben sieben Sachen. KINDERLIED

Heuer wollte ich den Dreikönigskuchen selber backen. Es blieb allerdings beim guten Willen. Die Zeiten sind nämlich vorüber, als die sieben dafür benötigten Sachen Eier, Schmalz, Zucker, Salz, Milch und Mehl waren. Auch die Prise Safran, die als Reim auf Mehl den Kuchen «gehl» machen soll, erübrigt sich. Vor allem beim gebräuchlichen, innen weissen Dreikönigskuchen, der als Geschäftsidee der Bäcker nach dem zweiten Weltkrieg aufkam.

Wenn wir ein Exemplar beim Grossverteiler erstehen, sehen wir, dass wir heutzutage sieben Kleber benötigen, die wir auf der Plastiktüte anbringen, in die wir das Backwerk versorgen: «Enthält verschluckbare Kleinteile», «Glutenhaltig», «Laktosehaltig», «Zucker und Fett kann ihre Gesundheit gefährden», «Kann Spuren von Nüssen, Mandeln, Sesam oder Soja enthalten», «Nicht über den Kopf stülpen, Erstickungsgefahr» und «Krone gehört nicht in den Kartonabfall, Polypropylenbeschichtung». Was heisst denn da «Enthält verschluckbare Kleinteile»? Erstens enthält das Ding im Regelfall genau eines, und zwar einen König und nicht mehrere, allenfalls in der politisch korrekten Version eine Königin. Bei besonders Korrekten ist die Figur schwarz eingefärbt. Die Diskussion darüber, ob eine Beschriftung «Dies ist keine Negerkönigin» – oder heisst es Negerinkönigin? – erlaubt oder gar angebracht ist oder nicht, sprengt den Rahmen dieser Kolumne. Und zweitens kommt auch das deppertste Kind nicht auf die Idee, den König zu verschlucken, will es ihn doch zwecks Erringung der Krone vorzeigen. Den Kleber mit dem Zucker und dem Fett können wir wahlweise durch eine Ernährungsampel, die rot zeigt, ersetzen. Spätestens im nächsten Jahrzehnt wird sie dieselbe Entwicklung durchlaufen haben wie die Zigarettenpackung. Statt der Farbe rot prangt ein Totenkopf mit dem Hinweis: «Zucker und Fett tötet.»

Weshalb niemand auf die Idee kommt, diese Hinweise mit dem Vermerk «Vorsicht, kann Spuren von Vernunft enthalten» zu versehen, ist klar: Es wäre hoffnungslos übertrieben. Hätte ich nach der administrativen Vorbereitung des Kuchens nicht den Mut verloren, ihn zu backen, hätte ich folgende Regeln beachten müssen: Die Eier hätten erst nach dem Kauf in den Kühlschrank gehört, wobei die Kühlkette anschliessend nicht hätte unterbrochen werden dürfen.

Nach der Fertigstellung wäre der Kuchen keinesfalls in einem Körbchen zusammen mit einer Flasche Wein einem Kind zwecks Überbringung an eine Pflegebedürftige zu übergeben gewesen. Erstens gehört Alkohol nur in Kinderhand, wenn es sich aus pädagogischen Gründen besaufen soll, zweitens ist es nicht grippegeimpft und darf das Zimmer im Pflegeheim der Grossmutter nur betreten, wenn es eine Mundschutzmaske trägt, und drittens lauert überall der Missbrauch und nicht nur im Wald, wie es die Gebrüder Grimm verharmlosend darstellen. Auch die Figur des Wolfs ist im Lichte der politischen Debatten der letzten Jahre ungünstig gewählt.

Den Kuchen zu verkosten, wäre mir im Ernst nicht mehr in den Sinn gekommen. Ich hätte ihn gleich nach dem Auskühlen an 2x Weihnachten geschickt.


Adrian Ramsauer,
9.1.2016, 115. Jahrgang, Nr. 9.

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