Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 25.7.2016:

EIN SATZ:

Klein Adlerauge.

Im Walden ich gehen so füren mich hinnen, und nichtsen zu suchen, das seien mein Sinnen. Aus ERNST JANDL, Die Humanisten.

Zur Zeit fahren viele weit fort von der kleinen, beinahe grossen Stadt, die wir alle gut kennen. Um weitab zu finden, was sie nie gesucht haben. Hauptsache, es lenkt ab. Und man ist nach der Rückkehr in die Lage versetzt, gestärkt und erfrischt an der Steigerung der Wirtschaftsleistung mitzuwirken. Oder den Reiseveranstalter auf Schadenersatz wegen entgangenen Reisegenusses zu verklagen.

Ich will es ihnen nicht gleichtun, sondern hier bleiben. Eigentlich fahre ich aber schon fort. Nein, ich spiele nicht Pokémon Go. Jedenfalls nicht, solange ich Pokémons fangen muss und nicht hinter realen Figuren her sein kann, von denen ich mir einige Einfangenswerte vorstellen kann. Erst wenn das geht, lade ich mir die App herunter. Aber da ist noch lange hin.

Ich mag mich diesen Sommer aber nicht nur mit Reisen ins Innere begnügen, bei denen man je nach Zustand des Innern ebenfalls findet, was man nie gesucht hat. Eine Ortsveränderung innerhalb des nordostschweizerischen Perimeters liegt durchaus drin. Leider musste ich feststellen, dass das Tourismusmarketing es mit der Wahrheit ebenso wenig genau nimmt wie alles Marketing. Das fängt schon bei der Namengebung an. Eigentlich wäre zu erwarten gewesen, dass die Ebenalp im Appenzellerland nicht allzu steil sein würde. Die stotzigen Felswege auf der angeblich ebenen Alpweide bewirkten bei meinen Füssen allerdings kein kleines Adler-, sondern ein grosses Hühnerauge, das der Entfernung harrt.

Weshalb und auch aus andern Gründen sich eine Entfernung von den Regeln der deutschen Sprache aufdrängt. Alle diese Gründe sind nicht besonders plausibel, aber das ist ja in Politik und Bürokratie nicht anders. Weshalb denn nicht auch in einer Kolumne.

Beispielsweise der Grund, dass der österreichische Dichter Ernst Jandl just am Datum unseres bevorstehenden Nationalfeiertags das Licht der Welt erblickt hat. Beispielsweise, dass Ernst Jandl unter anderem die Klein-Adlerauge-Sprache aus den von Erika Fuchs herrlich ins Deutsche übersetzten Micky-Maus-Heften der frühen Fünfzigerjahre für Gedichte und Theaterstücke adaptiert hat. Beispielsweise, dass Sommer ist und damit unser Hang, uns an Regeln zu halten oder ab und zu ausnahmsweise nachvollziehbare Begründungen zu liefern, hinter den Bedürfnissen nach sommerlicher Leichtigkeit zurücktreten.

Wir wollen uns nicht nur in Flip-Flops und Tank-Tops stürzen, sondern uns auch sprachlich bis über die Grenzen des guten Geschmacks lockern. Und mit Jandl und Fuchs lautmalen:

Ebenalpen: sein steilen / sein drohen / sein Schwebenbahnen vollen / sein Abgründen / sein wilden Kirchen / sein wanderen / sein Hühneraugen / sein Knieschlotteren /

Ebenalpen: sein Mühensalen / sein Alpen eben.

 

 


Adrian Ramsauer,
25.7.2016, 115. Jahrgang, Nr. 207.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.