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«Wandzeitung» vom 25.8.2016:

EIN SATZ:

Bettler und Sheriff.

Der Unterton des Sprechers (in einem TV-Sender) entsprach dem eines Hilfssheriffs. Wie alle schlechten Journalisten macht er sich voreilig gemein mit der polizeilichen These, Betteln sei ein öffentliches Ärgernis. KARL LÜÖND im «Landboten» vom 13. August.

Wie schreibt Karl Lüönd mir doch aus Kopf und Herz, wenn ich – was ich zu vermeiden suche – mit Polizeiberichterstattung kontaminiert werde. Er schreibt, dass Bettler in ihm selbst ein Dilemma zwischen Kopf und Herz auslösen. Vielleicht ist es aber gar kein Dilemma, vielleicht liegen Kopf und Herz näher beieinander als wir gemeinhin annehmen. Voreilige Schlüsse und Kollaboration mit populären Ansichten sind nämlich auch Ausdruck von Denkfaulheit. Denken ist anstrengend, also lassen wir es lieber. Vor allem in schnelllebiger Zeit mit unerträglichem Arbeitsdruck.

Das betrifft natürlich nicht nur die viel geschmähten Journalisten, sondern uns alle. Der kleine Hilfssheriff in uns wird oft übermächtig. Wenn wir nicht in der Öffentlichkeit stehen und Meinungsmultiplikatoren sind, ist es weniger dramatisch, aber deswegen trotzdem systemrelevant. Weil das, was sich in der öffentlichen Debatte, einschliesslich des tobenden Mobs in den sozialen Netzwerken abspielt, Reflexwirkung auf unsere Ansichten hat und damit auf unsere Entscheidungen im politischen System und im Alltag.

Abends im trauten Kreis ein paar Vorurteile ablassen, wie gut das tut, und dann gegen Grundrechte stimmen, die ja eh nur die andern in Anspruch nehmen. Hauptsache, die eigenen, die unsere Kleinbürgerlichkeit schützen, sind nicht beeinträchtigt. Dummerweise differenziert die Geschichte nicht. Ermächtigungsgesetze und Notverordnungen nehmen keine Rücksicht auf diejenigen, die sich entrüstet für staatstragend und berechtigt halten. Auch die im Namen des Terrors so beliebte Überwachung kennt keine Differenzierung. Wenn uns das auch die Protagonisten von Gesetzesverschärfungen einzureden versuchen.

Opfer von Zufallsfunden stehen fassungslos vor ihrem ganz persönlichen Scherbenhaufen. Regelmässig findet man die Terroristen erst nach der Tat, dafür einen Haufen irrelevanter Nebenprodukte, welche im immer intensiveren Netz der Regelungsdichte hängen bleiben. Die Bombe kommt nie ans Tageslicht, jedoch das nach dem obligatorischen Schiessen im Kofferraum vergessen gegangene Gewehr.

Wenn in der kleinen, beinahe grossen Stadt, die wir alle gut kennen, einmal wieder alles vermüllt, mit Autos (oder Velos) überstellt oder sonstwie stillos mit oder ohne materiellen und immateriellen Abfall kontaminiert ist, dann erwacht auch der kleine Hilfssheriff in mir. Ich sondere zuerst meine Vorurteile im kleinen Kreis ab. Dann rufe ich: Ordnung! Gebt mir einen Bussenzettelblock, eine Wasserpistole, einen Sheriffstern, eine Dampfwalze! Ich will aufräumen. Ich bettle.

Aber mir gibt niemand etwas. Glücklicherweise. Also setze ich mich still in eine Ecke, koche vor mich hin und warte, bis der Anfall vorüber ist. Bis Herz und Verstand wieder funktionieren. Der Abfall allerdings bleibt.


Adrian Ramsauer,
25.8.2016, 115. Jahrgang, Nr. 238.

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