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«Wandzeitung» vom 25.10.2016:

EIN SATZ:

Herbeischreibe.

Man kann die Wahrheit nur mit List verbreiten. BERTOLD BRECHT.

Mit der Verleihung des Literaturnobelpreises an einen religiös erleuchteten Rockpoeten stellt sich einmal mehr die Frage des Wesens und der Wirkung von Literatur, ja des Geschriebenen überhaupt. Marcel Reich-Ranitzky hielt Bertold Brecht für einen der grössten Dichter deutscher Zunge. So ist dessen Aphorismus wohl von gewisser Bedeutung. Implizit umschreibt er als Dichter damit auch die Rolle der Literatur. Und damit allen Schreibens. Auch des journalistischen, das von einem andern Aphoristiker bekanntlicherweise und nicht ganz unwidersprochen als Literatur in Eile bezeichnet wird.

Wenn man Brecht folgt, ist jede Schreibe, die der Wahrheit verpflichtet ist, mit List verbunden. Die journalistische gibt die Bindung an die Wahrheit in Einklang mit Punkt 1 der Erklärung der Pflichte und Rechten der Journalistinnen und Journalisten zumindest vor. Sie ist daher – wer möchte einem der grössten Dichter widersprechen – unter dem Gesichtspunkt der List zu betrachten.

Zwei Hauptlisten sind dabei zu erkennen. Sie bestehen darin, dass etwas herbeigeschrieben wird, bei dem der wahre Sachverhalt bloss eine Randerscheinung darstellt.

Die eine List glättet oder akzentuiert je nach dramaturgischem Bedarf. Ein Opfer wird beispielsweise als erbarmenswürdig überhöht, ein Täter als Scheusal gebrandmarkt. Hauptsache dualistisch, das versteht jeder. Und je simpler das Medium, desto stärker wird der Schwarz-Weiss-Kontrast.

Die andere List schwimmt auf der epidemischen Welle gegenseitigen Abkupferns und schreibt sich in dessen Rahmen gegenseitig Mut zu. So aktuell bei der Kommentierung des erhofften Abschiffens des amerikanischen Rüpels, der auf den Bühnen nicht nur der Caucuses den Präsidentschaftskandidaten gibt. Wohl wissend, dass die Gegenkandidatin nur das kleinere Übel darstellt. Gut gemeint, sich kollektiv in die wohlige Sicherheit zu schreiben, der werde nicht gewählt. Die Gefahr besteht aber, dass das Klammern an die brüchige Hoffnung für bare Münze genommen wird und die sich in Sicherheit Wiegenden nicht wählen gehen.

Spannend übrigens an der medialen Abschreibeepidemie, dass das Abkupfern bei Dissertationen mit Nulltoleranz als Plagiat gebrandmarkt wird, während die eigene tägliche Praxis, auch jene, sich schamlos und vor allem unkritisch bei Aussendungen von Medienabteilungen öffentlicher und privater Institutionen und PR-Agenturen ohne Quellenangabe zu bedienen, unwidersprochen bleibt. Auch dies eine List, die zeigt, dass weder die Zahl noch die Art der Listen begrenzt ist.

Nun dürfen Sie einmal raten, welche List dieser Kolumne zugrundeliegt. Immer unter der Voraussetzung, dass sie etwas mit Wahrheit zu tun hat. Abgeschrieben ist sie mit Ausnahme des Zitats nicht.


Adrian Ramsauer,
25.10.2016, 115. Jahrgang, Nr. 299.

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