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«Wandzeitung» vom 14.10.2016:

Eine neue Liebe:

Mein kleiner Nachbar B.

Vor zweieinhalb Jahren hörte ich ihn das erste Mal aus dem Nachbarsfenster lauthals brüllen. Aha, ein neuer Erdenbürger war vis-à-vis von uns zu Hause, weder seine Mama noch seinen Papa hatte ich bisher je gesehen. Monate verstrichen nur mit akkustischer Teilnahme, bis ich den schwarzgelockten «Chruselchopf» das erste Mal zu Gesicht bekam, ein überaus wohltuender Anblick. Seine Mutter trug ihn auf dem Arm und spazierte mit dem Kleinen an unserem Haus vorbei. Ich ging mich vorstellen, was sich als schwierig erwies, da sie kein Deutsch und ich kein Spanisch sprach. So grüssten wir uns lediglich mit Vornamen, wenn wir uns auf der Strasse begegneten und ich fragte nach ihrem Sohnemann und wie es ihnen ginge. Manchmal rief sie mich auch an und hängte dann lachend wieder auf, weil sie nicht sagen konnte, was sie wollte oder ich es nicht verstand.

Als das Nachbarskind seinen ersten Geburtstag feierte und wir das zufällig vernahmen, brachte ich ihm einige Tage später ein Bauspiel aus Holzklötzen zu ihm nach Hause. Das war das erste Mal, dass ich sein ausserordentlich sonniges Wesen erlebte. Einige Tage später brachte seine Mutter mir einige Speisen aus ihrem Land Kolumbien, und so entwickelte sich langsam eine intensiver werdende Beziehung zu meinen neuen Nachbarn.

Wir unternahmen Ausflüge zum Bruderhaus und ins Schwimmbad, brunchten im Park, fuhren mit dem Fahrrad, trafen uns zum Kaffee und fanden eine gemeinsame Art der Verständigung. Mit Deutsch, italienischen Brocken, etwas Spanisch, mit elektronischen Hilfsmittel und Duden konnten wir uns immer mehr erzählen und merkten rasch, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben und viel lachen können. So wurde ich zum Teil der kleinen Nachbarsfamilie. Als der Kleine zu reden begann, konnte er schnell, wie so viele Kinder vor ihm, meinen Namen Lili aussprechen. Jedesmal wenn er sein Haus mit seiner Mutter verlässt, ruft er nach mir, und ich gehe auf den Balkon, um ihn zu begrüssen, worauf er Luftsprünge macht vor Freude. Bald konnte er auch artikulieren, dass er zu mir kommen möchte oder ich zu ihm gehen soll, was wir jedes Mal, wenn auch nur für zehn Minuten, so einrichten, wenn’s geht. Ein so liebes und fröhliche Kind, so ohne Launen habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Wenn ich zur Arbeit fahre mit dem Velo, rennt er so lange er kann hinter mir her und ruft meinen Namen. Wenn ich vor unserem Haus mit jemandem spreche, ruft er mir «Schatz» zum Küchenfenster hinaus, wie er es von mir gehört hat. Oder er springt vom fahrenden Velo und läuft mir in die Arme, wenn er mich in meinem Studio arbeiten sieht. In der Spielgruppe verteidigte er mich gegenüber einem unbekannten Kind als «meine Lili», worauf sein Gegenüber behauptete, ich sei die seine, was einen lautstarken Diskurs auslöste.

Und als er einige Tage zu seiner Nonna nach Italien fuhr, habe er tagein tagaus von seiner Nachbarin erzählt und Fotos gezeigt. Gelegentlich kommt es vor, dass er, der der Generation iPhon angehört, mich während der Arbeit anruft und: «Lili, vengo», sagt. Es ist wunderbar so eine herzliche Liebe zu bekommen und ich hoffe, dass ich noch lange an seinem Leben teilhaben darf.


Lilian Setenou,
14.10.2016, 115. Jahrgang, Nr. 288.

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