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«Wandzeitung» vom 16.8.2016:

Sicherheit:

Übers Ziel hinausgeschossen.

Ich absolvierte eine Weiterbildung in New York und knüpfe an den Text von Barbara Günthard-Maier an, die letzthin über Brooklyn geschrieben hat; den Stadtteil, in den sich vor 20 Jahren Jahren niemand hingetraute und der heute eine Oase des friedlichen, multikulturellen Zusammenlebens ist.

Ganz New York ist in dieser Zeit sicherer geworden. Die Mordrate ist massiv zurückgegangen, verglichen mit 1990 gibt es in dieser 8,5-Millionen-Einwohner-Stadt heute sieben Mal weniger Mordfälle. Bis in die Neunzigerjahre enthielten Reiseführer für New York Tipps zur Vermeidung gefährlicher Situationen. Das sind vergangene Zeiten, nachdem das republikanische Stadtoberhaupt Rudolph Giuliani New York ab 1994 mit eiserner Hand von Mafia, Drogen und Gewalt befreite. Giuliani war übrigens ein bekehrter Republikaner, seine Karriere hatte er als Demokrat gestartet. Als Bürgermeister wechselte er als erstes den Polizeichef aus. Der neue setzte die Broken-Windows-Theory um: Schmutz und Gewalt, auch in kleinen Mengen, führen zu noch mehr Schmutz und Gewalt, bis hin zu richtig schlimmer Gewalt. Also galt ab sofort Nulltoleranz, keine zerbrochene Fensterscheibe wurde mehr geduldet, Mafia-Mitglieder wurden bis ans Lebensende eingebuchtet. Bei Giuliani gab es keine Gnade.

Ende 2001 wurde er im Amt abgelöst. Doch sein Erbe ist gegenwärtig: New York ist sauber und sicher. Und es hat überall Polizisten, und zwar viele. Gegenüber meines Hotels in Harlem hat es eine Polizeistation. Immer stehen zwei oder drei PolizistInnen vor dem Gebäude und grüssen freundlich. Ob sonntags im Central Park oder am Unabhängigkeitstag beim Feuerwerk-Spektakel – die Polizei ist mit einem Grossaufgebot in mobilen Stationen präsent und überwacht die Menschenmassen.

Gut so, könnte man sagen. Die Anzahl der Polizeikräfte und die öffentliche Sicherheit gehen offenbar Hand in Hand. Doch es gibt die berühmte Kehrseite. Sie hat sich in diesen Wochen wieder gezeigt, als in Dallas Polizisten erschossen wurden. Von einem Mann, dessen Ziel es war, weisse Polizisten zu töten. Immer wieder werden bei Polizeieinsätzen amerikanische Bürger, meist afroamerikanische, verletzt oder getötet. Der Fall Ferguson 2014, bei dem ein unbewaffneter 18-Jähriger erschossen wurde, war der Start einer neuerlichen, medienwirksamen Serie. Jeder dieser Fälle facht die Wut der afroamerikanischen Bevölkerung an und sorgt auch bei vielen anderen für Unverständnis und Unrechtsempfinden. Dabei ist nicht ganz klar, wer in Fällen wie Ferguson der Gute und wer der Böse ist. Natürlich hat ein Polizist falsch gehandelt – doch dazu brauchte es entsprechende Anweisungen vom Chef, Vorgaben der Politik sowie die Angst und das Sicherheitsbedürfnis einer ganzen Nation. Nach den Terroranschlägen vom 11. September und weiteren Attacken hat sich dieses Bedürfnis ins Unermessliche gesteigert.

Doch eine maximale Sicherheit gibt es nicht. Wer sie erreichen will, schiesst über das Ziel hinaus und riskiert, dass die Gewalt zurückschlägt wie in Dallas. Die öffentliche Sicherheit ist ein grosser Balanceakt, sie verlangt den Behörden enorm viel Klugheit und Sensibilität ab. Hoffen wir, dass Brooklyn dieser sichere und schöne Ort bleibt – und natürlich dasselbe für Winterthur!


Claudia Blumer,
16.8.2016, 115. Jahrgang, Nr. 229.

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