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«Wandzeitung» vom 29.1.2016:

das darf nicht geschehen:

bedroht ist der rechtsstaat.

sollte die durchsetzungsinitiative angenommen werden – und die möglichkeit ist nicht auszuschließen, gerade nach den unseligen ereignissen in der kölner silvesternacht –, so wäre dies für den rechtsstaat schweiz eine mittlere katastrophe. das ist mir in der letzten zeit immer deutlicher klar geworden. warum katastrophal:

zum einen wäre das ausgewogene prinzip der gewaltentrennung ausgehebelt. alle macht dem volk, sagt die svp, und sie schafft es auch immer wieder, für abstruseste ideen volksmehrheiten hinzubringen, mittels simplen parolen, vor allem aber mit viel geld. das ist die diktatur der mehrheit.

zum zweiten würde das selbstverständliche prinzip, dass ein krimineller nach gleichen maßstäben verurteilt wird für seine tat, ob er schweizer ist oder nicht, ebenfalls ausgehebelt. das wäre ja, wie wenn in china ein schweizer sexualtäter eher hingerichtet würde als ein chinese. wir hielten das zu recht für himmelschreiend.

in einem rechtsstaat steht selbst ein verbrecher unter dem schutz des rechts. was die aufhebung dieses prinzips für unselige folgen haben kann, zeigt amerika, das nach nine-eleven mutmaßliche terroristen ohne gerichtsverfahren in guantanamo eingeschlossen hat und nun, nach jahren, immer noch nicht los kommt von dieser schande.

dass ausländer, die bei uns kriminell geworden sind, ausgeschafft werden sollen, wird nicht bestritten. es ist auch vorgesehen und möglich. dazu braucht es keine neue verfassungsbestimmung. aber unterdessen hat sogar ein teil der initianten eingesehen, dass secondos eine gruppe für sich sind. auch sie können kriminell werden, genauso wie schweizer. aber eine ausschaffung hieße für sie verstoßung ins niemandsland, in eine ‚heimat‘, die für sie keinerlei heimat ist, weil sie stets bei uns gelebt haben. was für secondos gilt, trifft auch auf ausländer zu, die in frühester jugend in die schweiz gekommen sind und keinerlei wurzeln im land ihres passes haben. wo soll denn nun die grenze gezogen werden? dies zu beurteilen, dazu sind die gerichte da.

auf bevorstehende konflikte mit dem europäischen gerichtshof angesprochen, antwortete der meinungsmacher der svp: «das werden wir ja dann sehen.» mit dieser art der argumentation hat uns die svp bereits 2014 in jenen unlösbaren konflikt hineingeritten, den wir heute mit der europäischen freizügigkeit haben. «wir werden ja dann sehen und sie werden sich nicht getrauen, sich mit uns anzulegen …» welch eine verantwortungslose haltung! welch eine selbstüberschätzung!

jede geballte macht führt zum missbrauch. daher gibt es in der demokratie die verschiedenen gewalten, die sich gegenseitig im schach halten. auch das stimmvolk darf nicht unkontrolliert bleiben, sonst verkommt die demokratie. denn auch das stimmvolk kann fehler machen: die minderheitenrechte mit den füßen treten, die verfassung verletzen, gegen die akzeptierten menschenrechte verstoßen. nicht immer liegt die wahrheit bei der mehrheit.

lasst uns unsere demokratischen einrichtungen hochhalten.


Alfred Vogel,
29.1.2016, 115. Jahrgang, Nr. 29.

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