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«Wandzeitung» vom 29.5.2016:

reisen bildet:

wie sollen wir reisen?

karlheinz – wenn wir ihn mal so nennen wollen – gehört zu den umsichtigen reisenden. tage und wochen zuvor ist er in buchhandlungen und bibliotheken anzutreffen, wo er sich mit literatur über land und leute eindeckt. dabei ist er unter anderem auf einen vorzüglichen reiseführer aus dem müller-verlag gestoßen. dieser wird ihn und seine frau auf ihren wegen leiten und begleiten. gerade an orten, die sich dem tourismus verschrieben haben, ist die wahl der unterkunft nicht einfach. so ist er dankbar, wenn da über ein hotel geschrieben steht: «architektonisch gelungenenes haus am südende des sandstrandes. schöne und saubere zimmer mit meerblick, klimaanlage, kühlschrank und sat-tv (drei deutsche sender), täglich reinigung. freundlicher und angenehm legerer inhaber. (…)» das vorgefundene zimmer entspricht in allen teilen, samt beeindruckender sicht aufs tiefblaue meer, der beschreibung. auch jene schöne stadt mit ihrem «pittoresken hafenviertel und dem geschichtlichen erbe aus drei kulturen» hätten sie glatt verpasst ohne den deutlichen hinweis aus dem buch.

regt nun aber seine gattin an, sie könnten doch auch noch die westküste der insel besuchen. denn die fremdbestimmung durch den allwissenden autor, der ihnen immer zur seite oder gar einen schritt voraus ist, wird ihr doch etwas zu viel. einverstanden, sagt karlheinz, und greift sogleich wieder zu seinem reiseführer aus dem hause müller. dort findet er bald auch für die westküste die sehenswürdigen orte und passenden hotels. somit können seine pläne sich den wünschen der frau anpassen. nach zwei wochen in den fußstapfen oder fahrspuren des reiseführers kehren die beiden in die heimat zurück, mit der genugtuung, die meisten programmpunkte abgehakt und manche vergebliche suchereien vermieden zu haben, auch allfällige lieb- und unliebsame überraschungen.

es ist beeindruckend, wie wohlüberlegt karlheinz reist. es kommt mir vor wie orientierungslauf: ein veranstalter hat posten ausgesteckt, und es geht darum, diese möglichst speditiv anzupeilen. so gelangst du vom einen zum andern highlight. unterwegs schaust du auf der karte nach und kontrollierst, ob die landschaft stimmt, das heißt ob sie den zeichen entspricht. beeindruckend.

trotzdem schwebt mir persönlich eine andere methode vor, auf reisen zu gehen. gerne stelle ich den kompass ein und versuche mich einigermaßen auf diesem richtstrahl fortzubewegen, neugierig auf alles, was mir auf diesem weg zufällt. samt unliebsamen überraschungen. (diese geben später zu reden.)

aber zur zeit reise ich im lehnstuhl. ich lese gerade ein buch der seltenen art. der autor, patrick leigh fermor, ist 1934 als neunzehnjähriger in london aufgebrochen, um in einer fußreise von holland nach istanbul zu reisen. was ihm dabei begegnet, hat er mit bunter farbigkeit in drei dicken bänden beschrieben. (sie sind im untergeschoß der stadtbibliothek aufbewahrt.) vorläufig habe ich den ersten davon, «die zeit der gaben», ganz gemächlich durchlaufen.

 

 

 


alfred vogel,
29.5.2016, 115. jahrgang, nr. 150.

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