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«Wandzeitung» vom 29.7.2016:

übergänge:

eine schöne beerdigung.

wir waren an einer beerdigung. wir kommen ins alter, wo solche anlässe häufiger werden. bereits sterben altersgenossen, vor allem aber die ganze generation vor uns. diesmal war es eine entfernte verwandte, die im hohen alter von einem plötzlichen herzversagen ereilt wurde. bei einem gemeinsamen essen geschah es. ein schöner tod, und es war auch eine schöne feier. so würde ich es mir wünschen, wenn ich etwas zu sagen hätte dazu. musik gab einen würdigen rahmen und hielt die fließende zeit auf. einer der söhne las den lebenslauf vor, einen langen bericht über ein langes, erfülltes leben, einen bericht auch mit humor, mit treffsicherer charakterisierung der persönlichkeit, ohne auslassung von spannungen und konflikten. wir haben die frau gekannt und haben sie gern gehabt, und wir haben uns nun gern diese beziehung noch einmal vergegenwärtigt.

auch der pfarrer kannte die verstorbene gut, hat mit ihr in einem arbeitskreis zusammengearbeitet, ist schon vor fünfzehn jahren von ihr gebeten worden, er möge sie einmal beerdigen, und hat gerne – man könne bei einer solchen anfrage nicht gut sagen «mit freuden» – zugesagt. er vermied es, unbedachte frömmigkeit zu zelebrieren, er wählte sorgsam formulierungen, die auch von jenen angenommen werden konnten, die sich von einem naiven kinderglauben verabschiedet haben. wie wohl tut es einem, wenn ein toter mensch auf solche weise nochmals gewürdigt wird, und es mag vorkommen, dass noch ganz neue seiten von ihm bei dieser gelegenheit aufscheinen.

immer wieder gibt es nachkommen, die, wie es in der todesanzeige dann heißt, im engsten familienkreise von der verstorbenen person abschied genommen haben. ich habe mühe, das zu akzeptieren. denn ich habe ihn auch gekannt, ich habe mit ihm noch gesprochen, er gehört nicht ihnen allein. warum verwehren sie es uns anderen, dem abschied raum zu geben? was kann der grund sein für die rasche, beiläufige, fast möchte ich sagen: verschämte entfernung?

die kirche hat hier eine wichtige aufgabe, und wenn die sonntagmorgengottesdienste oftmals spärlich besucht sind, so zeigen die abdankungen, was wir an ihr haben. ich bin jedem pfarrer oder jeder pfarrerin dankbar, die uns dieses innehalten am grab eines angehörigen erfüllend gestalten. und ich ärgere mich über jene, die diese chance nicht packen und eine kirche voller trauergäste mit abgegriffenen sprüchen abspeisen.

nach der trauerfeier waren wir, wie es brauch ist, zum leidmahl geladen. da kommt vieles zur sprache, ein glas wein lockert die zunge und das gemeinsame essen stärkt das gefühl der zusammengehörigkeit. einstigen kindern begegnen wir nun, welche unterdessen junge frauen und männer geworden sind, und wir vernehmen, wie sich die oder jener im leben weiter entwickelt hat. wir sprechen mit fremden und erfahren, was sie an diese abdankung geführt hat, und so sind wir noch einmal bei dieser toten und gedenken ihrer. schön, wenn sich eine familie am wiedersehen freuen kann und dabei der wunsch laut wird: wir sollten uns doch auch bei fröhlicherer gelegenheit einmal treffen, wir hätten uns so vieles zu sagen.

 

 


Alfred Vogel,
29.7.2016, 115. Jahrgang, Nr. 211.

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Standpunkte:

6.9.2016, 18:57 Uhr.

beat alain rajchman schrieb:

lieber alfred.
du sprichst mir aus dem herzen, wenn du findest, dem abschied von einem menschen soll «raum gegeben» werden. alle menschen, welche die verstorbene person gekannt haben, sollten die möglichkeit haben, in einer rituellen form von ihr abschied nehmen zu können.
gemeinsam wird mit der taufe ein kleiner mensch auf dieser erde begrüsst, gemeinsam sollten wir uns von ihm auch wieder verabschieden dürfen. neben einer bisher noch üblichen kirchlichen abdankung gibt es heute ja auch abschiedsfeiern verschiedenster art für menschen, welche die institution kirche verlassen haben.
es macht sinn, wenn menschen zusammenkommen und im gedenken an den verstorbenen noch einmal gemeinsam von ihm abschied nehmen. dadurch erfahren die angehörigen eine ungeahnte wertschätzung, die ihnen hilft, den verlust eines lieben menschen besser zu ertragen.


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