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«Wandzeitung» vom 29.11.2016:

ein welscher vergisst das italienische:

fremdsprachen.

guido blumer stört sich zu recht daran, dass bundesrat alain berset in der fremdsprachendiskussion das italienische wortlos übergeht.

ich habe auch meine erfahrungen mit fremdsprachenunterricht gemacht. ich hatte mir, quasi als lückenbüßer, ein pensum frühfranzösisch aufgebrummt: in den unterrichtszeiten, da die 11- und 12-jährigen mit der fachlehrerin französisch lernten, unternahm ich das gleiche mit den kleinen, den 7- bis 10-jährigen. es sollte ein unterricht sein, der nicht vom kopf gesteuert würde, sondern spontan über zuhören und nachsprechen erfolgte, so wie kleine kinder bis etwa ins alter von acht jahren eine neue sprache direkt erwerben. ich ließ sie einer geschichte zuhören, übersetzte nicht, stützte aber meine rede ständig zeichnend, damit sie merken, wovon die rede ist.

dabei erinnerte ich mich auch an jean, einen 17-jährigen jüngling aus dem welschland, der in unserer familie lebte und in der landwirtschaft mithalf. er sprach während zwei, drei monaten kein wort deutsch, und dann sprudelte es plötzlich zürichdeutsch aus ihm heraus, wir wussten nicht, wie das gekommen war. diese erfahrung steht im widerspruch zu meinem ‚wissen’, dass der direkte spracherwerb nur bis etwa ins 8. lebensjahr möglich sei.

mein unterricht in der geschilderten art funktionierte nicht. von mal zu mal vergaßen die kinder alles, was sie gelernt hatten. ich musste vermuten, dass die zwei impulse pro woche zu wenig waren, um nachhaltig zu wirken. unser jean befand sich eben doch die ganze zeit im deutschen sprachbad. was sind daneben zwei oder drei lumpige lektiönchen.

dieser spärliche erfolg wurde mir erst bewusst, als ich – aus einem äußeren anlass – bei den kleinen auf frühenglisch umstellte und das frühfranzösisch aufgab. ich ging genau gleich vor. ich erzählte geschichten, die ich auch zeichnete, ich ließ sie am schluss in der mundart quittieren, was sie verstanden hatten; ich lehrte sie nursery rimes, indem ich ihnen diese vorsprach und sie wiederholen ließ, und sang mit ihnen englische lieder. ein durchaus herkömmlicher, direktsprachlicher unterricht, locker, kindgemäß, lustvoll. das erstaunliche aber war für mich der erfolg. die kinder machten rasche fortschritte im verstehen und konnten sich auch vokabeln merken, ohne dass wir solche systematisch schulten. ich kann mir die größere effizient nur so vorstellen, dass uns eben die englische sprache um einiges näher liegt als die französische. fast schon wie ein deutscher dialekt.

ich verstehe das anliegen von bundesrat berset sehr wohl. für den nationalen zusammenhalt ist es unabdingbar, die andere landessprache zu lernen. nach meinen erfahrungen muss jedoch die reihenfolge umgekehrt sein: zuerst das uns näherliegendere englische (das zudem noch bei den kindern ‚in‘ ist), dann erst das französische. und nicht zu viel aufs mal.

gegen das italienische als alternative zum französischen ist gar nichts einzuwenden. die frage ist nur, ob das fach auch gewählt würde. immerhin war französisch einmal eine weltsprache.

 


Alfred Vogel,
29.11.2016, 115. Jahrgang, Nr. 334.

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