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«Wandzeitung» vom 4.1.2016:

Hoffentlich schafft sie es alleine.

Nisch.

Heute, während ich diese Zeilen tippe, liegt sie hinter dem geschmückten Weihnachtsbaum, unter der Heizung und döst vor sich hin. Wenn Sie diese Zeilen lesen, wird sie es hoffentlich alleine geschafft haben.

Bei unserer letzen Probe lag sie ebenfalls auf dem Boden, legte sich nicht mehr mitten in die Runde auf den Stuhl mit den «Stückkärtchen» drauf, wie sie es zuvor während Jahren getan hat. Komme ich in ihre Nähe, maunzt sie leise und möchte gekrault werden. Dann legt sie sich laut schnurrend auf den Boden und versucht wohl einzuschlafen, während ich sie weiter kraule. Sie ist bald 20 Jahre alt und wohl einfach müde.

Sie kam nie aus dem Quartier heraus, wurde hier geboren, von den Kindern auf dem Spielplatz als «Schneeflöckli» gerufen. Ich nannte sie Nisch weil zur Zeit ihrer Geburt der Jugoslawienkrieg tobte, gerade die Stadt Nis zerbombt wurde und ich in jungen Jahren einmal stundenlang in Nis auf den Zug wartete. Der Klang des Wortes gefiel mir, und die Geschichte gab dem Namen eine Bedeutung. Nun lebt Nisch also seit fast 20 Jahren in unserem Haus, ist mit mir zusammen durch die verschiedenen Stockwerke des Hauses gezogen und jetzt, wo es bald wieder ins Parterre geht, will sie wohl nicht nochmals wechseln.

Ja, es ist nur ein Tier, man solle nicht allzulange warten, die Tiere nicht leiden lassen und sie früh genug einschläfern, lese und höre ich.

Und doch. Diesen Text schreibe ich zwischen den Zeiten, so empfinde ich es jedenfalls, zwischen Weihnachten und Neujahr. Es sind diese Tage des Nachdenkens und Loslassens. Das Alte ist schon vergangen, das Neue noch nicht ganz da. Zeit also, ein bisschen innezuhalten, zur Ruhe zu kommen und nachzudenken. Ein bisschen wenigstens. Oder eben auch die sterbende Katze zu begleiten.

Interessant ist, dass das Tier die innere Ruhe oder Bereitschaft genauso zu suchen scheint, wie dies mein guter bekannter S. getan hat, der seine letzten Wochen im Lighthouse verbrachte. Er brauchte Zeit, denn diese letzte Reise kann nicht geplant und auch nicht geübt werden. Irgendwann war es dann soweit, er wollte gehen, nicht unbedingt alleine, aber er war bereit dazu. Kurz darauf schaffte er es – alleine. So erlebte ich es mehrmals bei mir lieben Menschen. Es dauert eine Zeit, bis die Bereitschaft zum Aufbruch ins Unbekannte da ist. Schliesslich können wir das nicht üben, machen es – jedenfalls mit diesem Bewusstsein – nur einmal.

Über die Weihnachtstage hörte ich mir verschiedene Predigten an. Mehrmals wurde dabei der Gedanke formuliert, dass Geburt und Tod nahe beieinander liegen, sich eigentlich bedingen. Ohne Geburt kein Tod, aber jedem Tod muss gezwungenermassen auch eine Geburt vorausgehen.

Anders formuliert: Eigentlich ist die Zeit rund. Wie eine Kugel vielleicht. Die Zeit als linear zu betrachten, haben wir Menschen uns so angewöhnt. Weil unser Verstand diese Grossartigkeit nicht würde einordnen können.

Ob ich durchgeknallt bin, fragen sie sich? Keine Angst, aber ich lasse in diesen Tagen zwischen der Zeit gerne meine Gedanken schweifen. Das tut mir gut. Ich wünsche uns allen ein rundes und farbiges neues Jahr!


Marlies Bänziger,
4.1.2016, 115. Jahrgang, Nr. 4.

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