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«Wandzeitung» vom 4.4.2016:

Und wir hatten keine Ahnung ...

Golpe blanco in Brasilien?

Dieser Text entsteht am Ostermontag, 28. März. Drei Tage vor dem 31. März, dem Jahrestag des brasilianischen Militärputsches. Am 31. März 1964 stürzten brasilianische Generäle den Präsidenten Joao Goulart. Es folgte eine 21-jährige Militärdiktatur. Heute, gute 50 Jahre später, sind die Archive geöffnet, mit der Aufarbeitung der Geschichte wird begonnen. Gleichzeitig aber wächst in Brasilien die Angst vor einem golpe blanco, der am 31. März 2016 stattfinden könnte.

Wussten Sie um die politisch ausgesprochen heikle Situation in einem der wirtschaftlich wichtigen BRIC-Staaten? Wussten sie um die Panik der Rechtsbürgerlichen, Lula könnte in zwei Jahren nochmals von der armen Bevölkerungsmehrheit gewählt werden? Wussten sie von den primitiven Anschuldigungen und Verurteilungen unter der Gürtellinie, die zur Zeit täglich und systematisch gegen Brasiliens Präsidentin erhoben werden, um so einen golpe blanco vorzubereiten und so eine allfällige Wiederwahl Lulas zu verhindern? Wussten Sie vom verfassungswidrigen Verhalten der brasilianischen Gerichte? Oder haben Sie auch nichts mitbekommen ausser den vagen «Vorkommnissen» um den einstmals so angesehenen Präsidenten Lula, der ganz offenbar doch nicht über alle Zweifel erhaben sei? Erstaunlich, nicht wahr? Und doch interessanterweise gefährlich erklärbar.

Seit die Beschäftigung mit Politik (und Freihandelspolitik) nicht mehr zu meinem Alltag gehört, lese ich einschlägige Artikel in der Wochen- oder Tagespresse nur noch oberflächlich. Ab und zu surfe ich ein bisschen auf den Online-Medien herum, stelle aber fest, dass die Artikel gleichförmig unrecherchiert daherkommen, gegenseitig abgeschrieben wirken. Logo, die kommen aus derselben Medienküche, derselben Weltsicht, derselben Werthaltung. Was nicht sein darf oder nicht sein soll, wird weggelassen, nicht publiziert. So wiegen wir uns als Medienkonsumentinnen in der gesellschaftlichen Sicherheit zu wissen, was in der Welt so los sei, wenn wir unsere Betroffenheit über Terroranschläge austauschen, grossherzig den Islam nicht mit dem IS gleichsetzen, und doch etwas befremdet darüber sind, dass immer mehr Flüchtlinge in unser Land strömen. Dabei sind wir uns nicht bewusst, dass wir durch diese mediale Gleichförmigkeit manipuliert werden in unserer Wahrnehmung der Weltgeschehnisse. Manipuliert werden in unserem Gesellschaftsbild und in unserem Sprachgebrauch. Darüber habe ich heute auf dem Fahrrad nachgedacht, während ich in die Stadt radelte.

Gestern Abend nämlich fragten mich gute Freunde, was ich über die Situation in Brasilien wisse. Da ich mit «eigentlich nichts» antwortete, erzählten sie einen halben Abend lang. Ich war erschüttert, spürte aber auch eine gehörige Portion Wut in mir aufsteigen. Erinnerte mich an die Bücher von Paulo Freire, die ich verschlungen und wohl verinnerlicht habe und die heute in Brasilien als praktisch verboten gelten.

Westliche Medien publizieren nichts. In der Schweiz schon gar nicht. Nicht einmal auf infosperber finde ich einen Artikel zum drohenden Putsch in Brasilien. Da lobe ich mir die «Wandzeitung». Danke, Guido!


Marlies Bänziger,
4.4.2016, 115. Jahrgang, Nr. 95.

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