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«Wandzeitung» vom 4.6.2016:

Ganz viel Material:

Alles für das Kind!

Wenn sie diesen Text lesen, ist sie vorbei – die Baby-Kinder-Familienmesse. Aber sie kommt wieder, jährlich, abgesehen davon ist die Ausstellung Zeichen des Zeitgeistes, dafür, wie wir heute mit unseren Kindern umgehen.

Aber der Reihe nach: Am Samstag wollte ich Kleinmetall und Altglas in die Sammelstelle beim Rennweg bringen. Diesmal hatte ich Glück, die Altlast wurde mir via Zügeltransport an die Sammelstelle geliefert. Ich fuhr mit dem Velo dem Auto voraus, durchs Quartier, denn die Wartstrasse war nur Einbahn befahrbar, weil in der Eulachhalle die Baby-Kinder-Familienmasse stattfand. Zurück dann via Wartstrasse. In der Autokolonne. Im Schritttempo. Bis ich wiederum in die Seitenstrasse auswich. Der Anblick der querparkierten Familienwagen aber ging mir nach: Da stehen sie fast schon normiert: Familienwagen mit dickem Hinterteil, die Klappe geöffnet, darauf der obligate Kleber stolzer Eltern: Baby on Bord. Oder aber: Wir haben uns auch den Kinderwunsch erfüllt; sind erfolgreich, haben es geschafft und das sollen auch alle wissen. Der gepolsterte Kinderwagen steht hinter der geöffneten Klappe, er muss noch mit diversem Material gefüllt werden, bevor das noch im Auto angegurtete Kind hineingesetzt werden kann. Dann das Schieberad, falls das Kind umplaziert werden muss, die Videokamera für lustige Bildli, falls man am nächsten Babyface-Wettbewerb mitmacht oder das Kind als Baby-Model entdeckt wird. Viel Zeit bleibt dazu nicht, die Baby-Modell Agentur beispielsweise nimmt nur Models bis zwei Jahre, falls sie das Casting bestehen. Aber das braucht Zeit, ganz schön anstrengend für die Eltern, die sich ja noch um Babykrankenkasse, Frühförderung, Kitaplatz, Babyparty, Kinderzimmerausstattung und vieles mehr kümmern müssen! Immerhin: An der Baby-Kinder-Familienmesse werden die erfolgreichen Eltern über alles informiert und können erwerben, was sie als Familie jetzt unbedingt brauchen. Ein Kindersofa mit Erdbeer-Kissen, etwa.

Aber zurück zur langen Reihe der geöffneten Heckklappen: Ist alles Material draussen bereitgestellt, folgt noch der letzte Schritt: das Kind. Es wird herausgeholt, hineingesetzt und wieder angegurtet. Dann setzt sich der Tross in Bewegung. Das Kind voraus, gefüttert, geputzt und gestylt, wie eine Trophähe. Nur ruhig sollte es sein, damit die Eltern nicht abgelenkt werden von all den Eindrücken, die es nun zu verarbeiten gibt, den Informationen, die aufgesaugt werden müssen, den Events, an denen teilgenommen werden soll, wenn das Kind nur hoffentlich nicht stört! Und irgendwie wirken sie alle gestresst, belastet und bedrückt.

Ich bin froh, kann ich mit dem Velo zu unserer Bluemi-Hausgemeinschaft abzweigen. Als meine Kinder zur Welt kamen, war ich der Ansicht, dass ich Windeln, ein paar Strampler, ein Tragetuch, ein Schaffell, eine Wiege und unendlich viel Zeit brauche. Dabei ist es im Wesentlichen geblieben, auch wenn der eine oder andere Gegenstand dazu kam.

Seit einigen Jahren sind sie erwachsen und ich betrachte sie mit sonniger und glücklicher Zufriedenheit. Es braucht tatsächlich nicht viel Material. Aber es braucht unendlich viel innere Anwesenheit, Zeit und Liebe.


Marlies Bänziger,
4.6.2016, 115. Jahrgang, Nr. 156.

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