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«Wandzeitung» vom 12.6.2016:

Wenn mit einem etwas geschieht und man nichts beeinflussen kann:

Trauern.

Fast sieben Monate sind es her, seit mein Vater verstorben ist. Vor kurzem träumte ich von ihm. Er war zu Hause im Garten, unter anderem am Holz hacken. Er hatte viel zu tun und war in seine Arbeit vertieft, so wie früher. Im Garten sah es fast so aus wie in einer Schreinerei. Auf Holzstücken lagen Pflanzensetzlinge. Jene, die ich übersehen hatte und demzufolge nicht gepflanzt hatte. Mein Vater würde dies nachholen.

Meistens wenn ich etwas Unrealistisches träume, weiss ich, dass ich schlafe. Nicht so beim erwähnten Traum. Ich wunderte mich noch, mit welcher Kraft mein 86-jähriger Vater an der Arbeit war, relativierte den Gedanken aber sofort mit einem anderen: Ist eigentlich klar, dass er so kraftvoll ist, er war ja lange tot und ist jetzt ausgeruht.

Das Aufwachen war schmerzlich, in den darauffolgenden Tagen fehlte mir die physische Präsenz meines Vaters besonders. Die Trauer ist ein seltsames Ding. Es geht auf und ab mit ihr: Manchmal lebt man fast normal vor sich hin, und dann schlägt sie einen emotional nieder. Es gibt Tage, da bin ich tief traurig. Dann ist es mir egal, wo ich gerade bin, wenn mir nach Weinen zumute ist. Ich lasse meinen Gefühlen freien Lauf. Manchmal stelle ich mir vor, dass er von einer langen Reise zurückkommt. Ich male mir dann aus, was ich ihn alles frage. Wo die Kabelrolle des Rasenmähers ist, was er wie im Garten macht, ich würde ihm von meinen ersten Erfahrungen im Garten erzählen und meinen Beobachtungen. Bestimmt würde ich auch persönliche Fragen an ihn richten. Auch früher fragte ich ihn viel. Ich vergass aber auch viel. In erster Linie wollte ich mich sowieso nur von seiner Stimme und seiner Art zu reden berieseln lassen, weil sie mir einen gewissen Frieden vermittelte und mich beruhigte.

Guido Blumer schrieb einmal in der «Wandzeitung», die Trauer sei wohl das intensivste Gefühl, das ein Mensch empfinden kann. Marlies Bänziger schrieb, die Grenze zwischen Leben und Tod sei fliessend. Ich stehe hinter beiden Äusserungen.

Es gibt wohl zig verschiedene Arten, mit der Trauer umzugehen. Ich liebe die afrikanische: Am Spitalbett sitzen beim todkranken Menschen, ihn beweinen und beschluchzen, schreien, seinen Gefühlen Ausdruck geben. Und es ist absolut in Ordnung, man muss sich nicht zusammennehmen und die Trauer runterwürgen.

Ich schreibe meinem Vater. Am Tag, bevor sein Körper kremiert wurde, sass ich fast zwei Stunden bei ihm und begann ein Tagebuch mit den Worten «Lieber Papi ...» Seitdem schreibe ich ihm immer wieder darin, wenn mir danach ist. Vor Monaten habe ich mir im Internet viele Videos angesehen von der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross, und ich las Bücher über Nahtod-Erfahrungen.

Als mein Vater starb, fühlte ich mich stark und getragen. Ich hatte meine Aufgaben mit dem Nachlass, habe sie noch immer. Dass mich die Trauer im Moment wieder so überrollt, verstört mich manchmal. Aber ich möchte meine Trauer bewusst durchleben und dabei akzeptieren, dass ich nicht weiss, wie lange diese Achterbahn der Gefühle noch anhält. Ich meide Selbsthilfebücher zum Thema, möchte mich nicht abstrakt mit meinen Gefühlen befassen, sondern sie einfach leben.

 


Rosmarie Schoop,
12.6.2016, 115. Jahrgang, Nr. 164.

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Standpunkte:

27.3.2019, 10:30 Uhr.

Susanne Furter-Rengel schrieb:

Träume als Leitfaden, eine wunderbare Erfahrung. Auch wenn Träume verstörend wirken können, sind sie sehr kraftvoll und wegweisend. Ich wünsche Euch allen einen direkten Zugang zu den Träumen mit ihrer Wirkung auf die Gegenwart und Zukunft. Eine persönliche Traumerfahrung, kann auch auf das Umfeld Wirkung haben, wenn frau/mann den Mut hat sie zu erzählen und dadurch auch Klärung zum Traumgeschehen erleben kann. Viel Freude und Glück!


16.6.2016, 08:09 Uhr.

Thomas Wahl schrieb:

Seine Trauer mit anderen Menschen zu teilen, halte ich für eine natürliche Verarbeitung, wenn diese anderen Menschen Freunde sind. Solche sehr persönlichen Artikel zum Tod des Vaters und zur eigenen Trauer für eine grosse und anonyme Öffentlichkeit empfinde ich auch als exhibitionistisch. – Es gibt auch auf Facebook schon zu viel.


13.6.2016, 14:29 Uhr.

Pierre-François Bocion schrieb:

Trauern: Ein ergreifender Bericht der zum Nachdenken anregt. Mein Sohn Marc starb vor 11 Jahren auf den Bahngeleisen. Ich konnte das nicht Verarbeiten, aus meiner Sicht ein unglücklicher Begriff.


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