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«Wandzeitung» vom 27.1.2016:

Wer einen Blocher hat, braucht sich vor einem Kaczynski nicht zu fürchten:

Budapest, Warschau, Albisgüetli.

Was für die einen der Ungarn-Aufstand 56 oder der Prager Frühling 68, war für mich Anfang der 80er-Jahre die Solidarnosc-Bewegung in Polen: Das erste Mal, dass ich erlebte, wie in einem europäischen Land ein Teil der Bevölkerung sich gegen ein undemokratisches System auflehnte – und niedergeschlagen wurden. Erst mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 gelang es jenen Ostblock-Ländern, sich von den kommunistischen Regimes zu befreien. Ein Vierteljahrhundert später sind die demokratischen Strukturen und Errungenschaften in einigen dieser Staaten in Gefahr. Nach Premierminister Viktor Orban in Ungarn macht sich nach seinem Wahlerfolg im letzten Herbst auch der Führer der nationalkonservativen Partei «Recht und Gerechtigkeit», Jaroslaw Kaczynski daran, den Rechtsstaat zu untergraben. Mit der absoluten Parlamentsmehrheit wurde in verfassungswidriger Weise die Grundlage gelegt, um eigene Verfassungsrichter zu installieren. Gleichzeitig wurde das Verfassungsgericht mit diversen Hürden und Zusatzaufgaben gelähmt oder gar teilweise ausgeschaltet. Auch bei der «vierten Macht» im Staat, den Medien, sorgte die nationalkonservative Mehrheitspartei dafür, dass diese ihre wichtige Rolle in einem funktionierenden Rechtsstaat, der sich durch Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit dieser Gewalten auszeichnet, nicht mehr wahrnehmen kann. Mit einem neuen Mediengesetz wurden die Grundlagen geschaffen, dass die Medien neu direkt dem Schatzminister unterstellt sind und in Staatsfernsehen, öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Nachrichtenagentur der führenden Partei genehme Direktoren und Medienschaffende eingesetzt werden können, was seither laufend praktiziert wird. Dies führt nun dazu, dass die EU erstmals in ihrer Geschichte den Artikel 7 des EU-Vertrages anwendet und im Falle von Polen ein Verfahren zum Schutz des Rechtsstaates anstrebt.

Wer sich um den Rechtsstaat Sorgen macht, muss aber nicht bis nach Warschau schweifen, ein Blick ins Albisgüetli genügt. Zur Erinnerung: Eine Woche vor dem Wahlerfolg der nationalkonservativen Partei in Polen hatte ihr Pendant in der Schweiz, die SVP, das stärkste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt. Verbunden mit der Hoffnung, die SVP könne wieder eingebunden werden und würde sich mässigen, erhielt sie einen zweiten Bundesratssitz zugesprochen.

An der Albisgüetli-Tagung von Mitte Januar zeigte aber Christoph Blocher, dass die SVP extremer denn je ist. In seiner Rede «Die Schweiz auf dem Weg zur Diktatur», warnte er davor, dass wir vor einem «stillen Staatsstreich» stünden. Er zog über Bundesrat, Parlament, «linke Medien» und die Bundesrichter (ein Verfassungsgericht haben wir ja schon gar nicht) her und meinte: «Offenbar wollen die Bundesrichter eine Diktatur der Minderheit». Wer einen Blocher hat, braucht sich vor einem Kaczynski nicht zu fürchten. Der Unterschied liegt lediglich darin, dass wir in der Schweiz im Gegensatz zu Polen nicht darauf hoffen können, dass die EU den Artikel 7 anwendet für ein Verfahren zum Schutz des Rechtsstaates.


Nicolas Galladé,
27.1.2016, 115. Jahrgang, Nr. 27.

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