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«Wandzeitung» vom 22.1.2016:

Letztes Wochenende war ich seit langem wieder einmal auf einer Party:

Beschreibung des Erwachsenwerdens.

Letztes Wochenende war ich seit langem wieder einmal auf einer Party. «Party», vom Duden als «zwangloses, privates oder öffentliches Fest (mit Musik und Tanz)» ist dafür aber irgendwie nicht die angemessene Bezeichnung.

Musik wurde zwar gespielt und getanzt wurde auch, und wenn das Ganze eines war, dann zwanglos. Aber das ganze als «Party» zu bezeichnen, wäre viel zu mainstream und würde darum dem Anlass nicht gerecht werden. Denn man gab sich dort die allergrösste Mühe, eben möglichst nicht mainstream zu sein. Stattgefunden hat es in einem Haus, bei dem ich mir nicht ganz sicher bin, ob es besetzt wird oder nicht. Einer der geistigen Ergüsse, der auf der Toilettenwand nebst unzähligen Anarchie-Zeichen und politisch angehauchten Reimen zu lesen war, lautete: «Kein Staat, kein Patriarchat, kein Mietvertrag!» und deutete somit eher in Richtung Besetzung.

Auch der Musikstil war unkonventionell. Zwei Livebands traten auf, die erste spielte verschiedenste Tonabfolgen, bei denen nicht immer eine Melodie im traditionellen Sinne zu erkennen war. Die zweite überzeugte die Menge mit Blackmetal. Für die Laien, zu denen ich mich selbst auch zähle: Blackmetal klingt ungefähr so, als würde man nebst rockigem, kämpferischem Sound ins Mikrofon grummeln, aber so richtig, richtig laut. Ohne die musikalische Kunstfertigkeit oder den Musikgeschmack der Beteiligten anzuzweifeln (wie erwähnt kenne ich mich zu wenig aus), war es mindestens aus auditiver Perspektive eine gewöhnungsbedürftige Erfahrung für mich.

Ungewöhnlich war der Abend für mich aber vor allem aus einem anderen Grund. Ich stand in einer Menge aus Rastas, originellen Piercings und Secondhand-Kleidern. Getanzt wurde expressionistisch und barfuss, die Stimmung war ausgelassen, Joints wurden grosszügig in der Menge herumgereicht, ebenso wie Amaretto-Flaschen und warme Suppe. An sich ein durchaus sympathisches, freundliches Klima. Nur halt so entschlossen locker und zwanglos, dass es etwas verkrampft wirkte. Zwanghaft zwanglos sozusagen.

Ich hielt mich an meinem Plastikbecher mit Bier fest, was bei dem ungezwungenen Tanzstil der Feierlustigen gar nicht so einfach war, beobachtete, teils amüsiert, teils irritiert und teils fasziniert das Geschehen um mich herum und fühlte mich – und jetzt kommt’s! – vollkommen uncool. Es war das erste Mal, dass sich in meinem Kopf beharrlich die Worte «Ich bin zu alt für sowas» formten. Wehmütig dachte ich an mein Sofa, an warme Kuschelsocken und nach einem Blick auf die Uhr daran, dass ich die «Tagesschau» verpasste.

Ein paar Tage vorher war ich 25 geworden und musste mir etliche Witzeleien anhören, dass es jetzt langsam aber sicher abwärts gehe und ich mich einstellen müsse auf Falten, graue Haare und Arthritis. Darüber hatte ich noch gelacht, nicht ahnend, wie schnell mich die Voraussagungen übers Altern einholen würden.

Aber der Abend endete gut; als ich schliesslich schlotternd (vom Schnee) und schwankend (vom Bier) meine Wohnung betrat und mich umsah, war mir klar, dass ich ziemlich spiessig bin. Und dass ich mich damit wohl fühle. Was könnte das Erwachsenwerden besser beschreiben?


Anita Hofer,
22.1.2016, 115. Jahrgang, Nr. 22.

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