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«Wandzeitung» vom 22.4.2016:

Leider ist es nicht so, dass wir Visionen näherkommen:

Nie wieder Völkermord?

Am 24.4.1915 begann der erste organisierte Massenmord, die Vertreibung und Vernichtung der damals osmanischen (heute türkischen) Armenier in Anatolien. Es begann mit der Verhaftung der lokalen armenischen Elite und deren Folterung bis zum Tode. Die über eine Million Armenier sind den europäischen Juden den kollektiven Gang in den Tod vorausgegangen. Von den türkischen Rechtsnachfolgern geleugnet, ist der Genozid bis heute nur teilweise anerkannt.

Mit acht Parlamentarier-Kolleginnen und -Kollegen, vor allem Mitglieder der Gruppe Schweiz-Armenien, folgte ich vor genau einem Jahr der Einladung aus Erevan, persönlich unterschrieben vom Präsidenten der Republik Armenien, um gemeinsam mit Gästen aus fast allen Ländern an den offiziellen Gedenkfeiern zum 100. Todesjahr des Armenischen Völkermordes teilzunehmen. Wir liessen uns auf die Erinnerung der erschütternden Bilder über den armenischen Völkermord ein und an der internationalen Konferenz auf die kontroversen Stellungnahmen der Länder und Experten. Es führte zur harten Auseinandersetzung mit den verschiedenen politischen Sichtweisen, aber vor allem zu einem Gedenken, das wieder und wieder emotional und bewegend war und wieder ist bei der Rückschau. Denn übermorgen finden die 101. Gedenkfeiern beim riesigen Memorial statt, diesem bewegenden Ort der Spiritualität über alle Religionen. Das Herz der Gedenkstätte mit der Flamme im Zentrum wird im Laufe des Tages gefüllt mit Blumen, niedergelegt von der armenischen Bevölkerung. Und wieder haben uns der Aussenminister, der Armenische Botschafter und der Präsident des Nationalen Parlamentes am 24. April 2016 nach Erevan eingeladen.

Denn: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Zwangsumsiedlungen mit dem Ziel von ethnischen Säuberungen, Verfolgung und Vertreibungen gehören mitnichten der Vergangenheit an. Im Gegenteil: Die internationale Gemeinschaft muss realisieren, dass Genozide nicht gestoppt werden können, vor kurzem nicht in Ruanda, auch nicht in Burundi, in Syrien und im Irak. Wie können wir reagieren? Es gibt keine Massnahmenpläne, keinen Konsens über eine Vorgehensweise. Die Gedenkfeier in Armenien stellt uns vor diese Herausforderung, dass mit dem Erinnern mehr verbunden sein muss. Es müssen Instrumente entwickelt werden, um zukünftige Genozide zu verhindern, mit ganzer Kraft, das ist die Aufgabe der Weltgemeinschaft. Kein Land hat das Recht, der Wahrheit und der Humanität nicht verpflichtet zu sein.

Was können wir tun? Heute haben wir es wieder mit einem verstärkten Trend zu nationalstaatlichem Denken zu tun, das den Schutz internationaler Konventionen geringer schätzt und deshalb ein Risiko bildet für den Frieden zwischen den Nationen.

Am Ende der Armenienwoche kehrte ich sehr nachdenklich zurück und werde jetzt ein Jahr später für mich Bilanz ziehen. Leider ist es nicht so, dass wir den Visionen näherkommen, dass die Universalität von Menschenrechten, Freiheiten und Würde immer mehr respektiert werden, sondern der Abstand zu einer schamlosen Politik der Interessen über Gewissen wächst. Wahrnehmen und wahrhaben heisst sich fragen, wo genau die Schweiz damit steht.


Maja Ingold,
22.4.2016, 115. Jahrgang, Nr. 113.

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