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«Wandzeitung» vom 28.8.2016:

Rückblick auf die Ferienzeit:

«Sommer der Angst!?»

Am Radio hat kürzlich ein Moderator die vergangenen Wochen als «Sommer der Angst» zusammengefasst. Mir ist dieser Ausdruck unter die Haut gegangen; denn er hat mir neu ins Bewusstsein gerufen, wie viele brutalste Ungeheuerlichkeiten genau während der Zeit geschehen sind, in der viele von uns ferienhalber absolut friedlich Erholung, Entspannung, Ablenkung, Naturerlebnisse, sportliche Betätigung oder einfach gemütliches Zusammensein gesucht haben. Neben der zum Glück oft idyllisch erlebten Meer-, Berge-, Seenkulisse, in der sich die unsere Ferienunternehmungen abspielten, fanden auf der Weltbühne gleichzeitig in schneller Folge schreckliche Ereignisse statt.

Den grausigen Auftakt bildete das Massaker von Nizza am französischen Nationalfeiertag kurz vor offiziellem Ferienbeginn bei uns. Dann haben mich die Nachrichten vom (inszenierten?) Putsch in der Türkei und den repressivsten Reaktionen der Regierung schon am italienischen Strand erreicht. Zwischen Sonnenschirmen und Liegestühlen habe ich von den Schüssen im Einkaufszentrum in München gehört. In Windeseile zogen medial vermittelte Horrorszenen wie Landschaften beim Zugfahren an mir vorbei: Axt-Messer-Attacke in einem Bahnwagen bei Würzburg, Schiessereien zwischen Schwarzen und Polizei in den USA, ein Mann erschlägt eine Frau mit einer Machete im Süden Deutschlands, in Ansbach sprengt sich ein Gewalttäter bei einem Musikfestival in die Luft und verletzt Teilnehmende, Messerstechereien im Zug in Österreich und in der Schweiz. Dazu die Dauerbrenner: Berichte und Bilder vom Krieg in Syrien und in der Ostukraine sowie von der Flüchtlingstragödie bis vor unsere Haustür in Como.

Ich kann die Gegensätze nur benennen und beschreiben, nicht entschärfen, schon gar nicht beheben: froher Ferien-Genuss und synchron Badest-News auf den Digitalempfängern. Wie mit diesen Spannungsbogen umgehen? Ich bin überzeugt: Wir haben ein Recht, jeden Moment, der uns erfahren lässt, dass das Leben lebenswert ist – wie Ferien, Gemeinschaft, Freude am Schönen wirklich zu leben – auch und gerade im Angesicht der vernichtenden Kräfte. Das dürfen wir uns nicht nehmen lassen! Den für mich bedeutsamsten Text dieses Jahres hat der französische Journalist Antoine Lairis verfasst, der bei den Paris-Anschlägen seine Frau verloren hat, die Mutter seines 17 Monate alten Sohnes. Er schreibt: «Am Freitagabend habt ihr mir das Leben eines aussergewöhnlichen Menschen geraubt, die Liebe meines Lebens, die Mutter meines Sohnes, aber meinen Hass, den bekommt ihr nicht. Ich weiss nicht, wer ihr seid und will es auch gar nicht wissen, denn ihr seid tote Seelen. Wenn dieser Gott, für den ihr so blind mordet, euch nach seinem Ebenbild erschaffen hat, dann hat jede Kugel im Leib meiner Frau auch sein Herz verletzt. Deshalb nein, ich werde euch jetzt nicht das Geschenk machen, euch zu hassen. Sicher, ihr habt es genau darauf angelegt – doch auf diesen Hass mit Wut zu antworten, das hiesse, sich derselben Ignoranz zu ergeben, die das aus euch gemacht hat, was ihr seid. Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitbürger mit Argwohn betrachte und meine Freiheit für meine Sicherheit opfere. Vergesst es. Ich bin und bleibe der, der ich war.»

 


Hugo Gehring,
28.8.2016, 115. Jahrgang, Nr. 241.

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