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«Wandzeitung» vom 28.10.2016:

Ein Zauberwort, nicht nur in der Behindertenszene:

Die Logik der «Inklusion».

Früher hat man ein Altersheim an den Waldrand gebaut und «Abendruh» genannt und so klar zum Ausdruck gebracht: Die alten Leute gehören aufs Abstellgleis. Heute baut man ein Seniorenzentrum mitten in den Ort, damit die Bewohnenden am Leben teilnehmen können. Das nennt man «Inklusion» – das Gegenteil von Exklusion: Ausschluss. Inklusion bedeutet: dazugehören, dabei sein. Inklusion ist zunächst ein Zauberwort in der Behindertenszene gewesen. Statt in einem hochspezialisierten Ghetto möchten Menschen mit einer Behinderung möglichst selbstbestimmt unter den anderen Leuten wohnen. Ein verständlicher Wunsch! Doch Inklusion zieht weitere Kreise.

Ein Beispiel aus Winterthur: 2013 ist in Neuhegi die erste Mehr-Generationen-Siedlung «Giesserei» eröffnet worden. 350 Leute – vom Kleinkind bis zum Hochbetagten – wohnen und leben dort nicht nebeneinander, sondern miteinander. Es gibt Treffpunkte, Gemeinschaftsräume, eine interne Vernetzung, die erlaubt, Hilfe anzubieten und zu suchen, also: ein gelungenes Inklusionsprojekt. Es entspricht offenbar einem echten Bedürfnis: Die Warteliste für diese Wohnform ist lang und wächst. Für ein solches Miteinander braucht der Apostel Paulus ein starkes Bild. Er sagt: Wir unterschiedliche Menschen gehören zusammen wie die verschiedenartigen Körperteile zum Leib – eine grandiose Vision von Einheit in Verschiedenheit. Diese Vision geht zurück auf den Meister von Nazaret, auf Jesus, der die Inklusion gelehrt und gelebt hat. Seine Botschaft lautet: Ladet zu Euren Essen nicht nur die Verwandten und Freunde ein – das führt zur Logik der Exklusion, sondern auch die «Armen, Krüppel, Lahmen und Blinden» – so die Logik der Inklusion. An seinem Tisch haben die «Sünder und Dirnen» Platz, die moralisch «Unreinen» jener Zeit. Er ist auf die Ausgeschlossen zugegangen – die Aussätzigen, den römischen Hauptmann, die syrophönizische Frau, die in Israel verachteten Leute aus Samarien. Er wertet die Zöllner mehrfach positiv auf, obwohl sie damals den Zeitgenossen zu Recht unsympathisch waren. Man könnte sagen: Jesus ist ein Inklusionsspezialist!

Im Rahmen dieses Inklusionsthemas möchte ich noch auf eine hübsche Konkretisierungsidee hinweisen. Alt-Abt Martin Werlen aus Einsiedeln erwähnt in seiner neuesten Schrift «Wo kämen wir hin?» ein besonderes «Werk der Barmherzigkeit»: «die Lästigen in Geduld ertragen.» Er erzählt, wie er sich in der Fastenzeit vorgenommen hat, täglich für einen Mitbruder (im Kloster) zu beten, der das Talent hat, ihm in jeder Hinsicht zu missfallen (diese Formulierung stammt von der heiligen Thérèse von Lisieux). Und er stellt dieses Bemühen, «Lästige in Geduld zu ertragen», in eine lange spirituelle Tradition. Schon Bernhard von Clairvaux habe im 12. Jahrhundert auf die Anfrage eines Abtes bezüglich eines «schwierigen Mönchs» geantwortet, dieser sei besonders wichtig, weil sie durch ihn in der Liebe geschult würden. Wenn sie keinen solchen mehr hätten, könnte er ihnen gern einen zur Verfügung stellen … Uns als Menschen, die ständig Lästigen begegnen und vielleicht manchmal anderen auch lästig sind, könnte diese Inklusionsübung, einander in Geduld zu ertragen, in eine neue Weite der Toleranz führen.


Hugo Gehring,
28.10.2016, 115. Jahrgang, Nr. 302.

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