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«Wandzeitung» vom 24.3.2016:

Der Mensch kann nicht einfach in eine Kategorie eingeteilt werden:

Im Leben einer Introvertierten.

Kennen Sie den Myers-Briggs-Test? Dieser Test soll mit Hilfe einiger Fragen bestimmen, was für eine Persönlichkeit Sie haben. In einem schwachen Moment, auf der Suche nach unserem wahren Selbst, beantworteten ich und meine Freundin eben diese Fragen. Mein Ergebnis: INFJ. Introvertiert. Intuition. Feeling. Judging. Dies wirkt sich auf mein Leben wie folgt aus:

Seit Wochen geistert das Bild meines unvollständig ausgefüllten Impfplans durch den Kopf. Einige Impfungen stehen noch aus, weshalb ein Arzttermin vereinbart werden muss. Ich starre das Telefon an, als wäre es mein Todfeind, und ich glaube bedrohliche Musik im Hintergrund zu hören. Schwer schluckend greife ich endlich nach dem Gerät und tippe die Telefonnummer ein. Während ich dem Summton lausche, bildet sich in meinem Hals ein Kloss, und als am anderen Ende der Leitung eine Stimme ertönt, verschlucke ich mich beinahe. Stotternd versuche ich einen Satz zu bilden und mein Anliegen zu äussern, doch scheitere kläglich.

Ich sitze mit einer Bekannten in einem Kaffee, da wir zusammen an einem Projekt arbeiten müssen. Anfangs läuft es gut. Wir besprechen das Thema, teilen die Aufgaben auf und vereinbaren einen Termin. Dann herrscht Schweigen und ich weiss, was als nächstes folgen wird. Smalltalk. Hektisch suche ich nach Themen, über die ich mit ihr sprechen könnte. Haben wir Gemeinsamkeiten? Geschah in letzter Zeit etwas, das thematisiert werden könnte? Gibt es etwas in der Umgebung, über das geredet werden könnte? Nein, nein und nein. Nervös fahre ich mir durch die Haare. Im Versuch lustig zu sein, reisse ich einen schlechten Witz, der mit einem irritierten Blick quittiert wird.

Montagmorgens werden rege Abenteuergeschichten vom Wochenende ausgetauscht. Man spricht von Restaurants, Partys und Kino. Plötzlich wendet sich meine Freundin zu mir um und fragt interessiert, was ich denn so unternommen habe. Verlegen schaue ich aus dem Fenster und versuche den Eindruck zu erwecken, als müsste ich überlegen, wo ich bloss anfangen soll. Dabei denke ich an meinen Samstagabend, wie ich in eine Decke eingekuschelt und Tee schlürfend ein Buch verschlang. Kurz also, ein aufregender Abend.

Und denken Sie, nach diesen Schilderungen von für mich typischen Situationen, das Ergebnis sei zutreffend? (Achtung, es handelt sich hier um eine rhetorische Frage) Trotzdem finde ich, dass ein Mensch nicht einfach in eine Kategorie eingeteilt werden kann und dann sein ganzer Charakter genau diesem Muster entspricht. Klar, vieles ist richtig, doch wenn ich in einer angenehmen Umgebung bin, mit Leuten die ich kenne, kann auch ich offen und gesprächig sein, ich kann mit meiner Freundin stundenlang telefonieren (zum Leid aller anderen im Haus) und ich kann mich (manchmal) auch von meiner Decke trennen. Jeder Mensch hat eine andere Persönlichkeit und folgt nicht immer denselben Verhaltensweisen. Dennoch war der Test spannend und falls Sie genauso introvertiert sind wie ich, dann heisse ich Sie willkommen im Klub und wünsche Ihnen viele gemütliche Samstagabende.

 

 


Noëlle Lee,
24.3.2016, 115. Jahrgang, Nr. 84.

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