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«Wandzeitung» vom 26.4.2016:

Vittel mag auch ich lieber, als Aproz:

Die Schweizer und ihre Luxusprobleme.

Wir haben es schon schön in unserer kleinen Schweiz. Schöne Landschaften; grüne Wälder, Seen, Grossstädte, Dörfer, Bergen, Essen im Überfluss, Trinkwasser sogar im Klo, ein Dach über dem Kopf, eine funktionierende Wirtschaft, gute Ausbildungsmöglichkeiten, eine tiefe Arbeitslosenquote. Und wer dennoch in Not steckt, wird unterstützt vom Staat.

Das mag nun naiv klingen, denn selbstverständlich ist nicht alles ganz so perfekt, wie es nun scheint. Vergleicht man unsere momentane Lebenssituation mit denen einiger Länder ganz in der Nähe, so muss man sich aber dennoch zugstehen, dass wir in einem kleinen Paradies leben.

Keine Kriege, keine Wirtschaftskrisen oder Arbeitslosigkeit in höchstem Masse, keine Terroranschläge, keine Hungersnot. Doch dessen sind sich viele gar nicht bewusst. Wir kennen es nicht anders. Uns ist es nie anders gegangen.

Ich habe vor drei Jahren für ein Jahr lang in Spanien gelebt und lernte dort eine ganz andere Kultur und Lebenseinstellung kennen. Ich erlebte die Arbeitslosigkeit hautnah mit, sah wie immer mehr Leute in meinem Umfeld, die das Glück hatten, noch eine Beschäftigung zu haben auch diese verloren. Meine Gastfamilie – ein Extremfall – war von den 400 Euro abhängig, die sie monatlich (eigentlich für mich) erhielten. Im eisigen Winter, man glaubt es kaum, mussten wir auf eine Heizung verzichten, da das Geld nicht reichte und sahen sogar unseren rauchartigen Atem, wenn wir in den Betten lagen. Und doch wurde ich beeindruckt von der Lebensfreude, die die Menschen versprühten. Auch wenn es schwierig war (und noch immer ist), liess man sich nicht unterkriegen und genoss das Wenige, was man hatte.

Als ich von Spanien zurückkam, war das eine extreme Umstellung. Anfangs verabscheute ich die Schweizer, wie sie in ihrem Überfluss lebten und es nicht einmal bewusst schätzten. Wir stimmen ab, ob wir eine zweite Gotthardröhre möchten, es wird wochenlang darüber diskutiert, ob es legitim sei, dass ein muslimischer Schüler seiner Lehrerin die Hand nicht geben will. Man spekuliert, ob die trendige, vegane Ernährung wirklich gesund sei für den Körper und meckert im Geschäft, dass man lieber Vittel-Wasser zur Verfügung gestellt bekäme statt Aproz. Luxusprobleme.

Doch leider gewöhnt man sich so rasch an den hohen Lebensstandard und auch ich beklagte mich schon bald wieder über Kleinigkeiten wie das Wetter oder die verkochten Nudeln, statt einfach zu geniessen, was wir alles haben.

An manchen Tagen erinnere ich mich aber zurück an mein Auslandjahr, indem ich so viel lernte und erlebte, mir ein Bild machen konnte, wie es andern ergeht und schätze mich schon glücklich ein solches Leben haben zu dürfen, wie es uns die Schweiz erlaubt – auch wenn ich insgeheim Vittel auch lieber mag als Aproz.

 


Salome Weber,
26.4.2016, 115. Jahrgang, Nr. 117.

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