Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 19.7.2014:

Warum die Homöopathie doch Recht hat:

Wir werden immer dichter.

Dass pro Sekunde ein Quadratmeter Land verbaut wird, ist uns schon lange bekannt. Die grünen Gemeindeflächen werden immer mehr zum Dorfquartier. Schön in Reihen aufgestellt, plustern sich die Kabäuschen auf, die sich Einfamilienhäuser nennen. Kleinkariert oder Garagen mit Kochgelegenheit? Protzig und in regem Durcheinander stellen sich auch kunterbunte Villen ins Rampenlicht, wie es Neftenbach nicht schöner zeigen könnte. Die Hauptsache heisst: dicht.

Dicht wird es aber auch in Winterthur. Nicht nur in der Fläche, auch die Grössen und Höhen der Gebäude nehmen beträchtlich zu. Die Strassenschluchten im ehemaligen Sulzerareal bahnen sich wie Schienen durchs Gemäuer. Wo’s nicht genug hoch ist, wird oben noch eins draufgesetzt. Gehobenes Wohnen nennt sich das. Und wo einst ein Quartier erhalten bleiben sollte wie im Vogelsang, zwängen sich neuerdings Fertighäuser wie Schuhschachteln als Bostitchhaus in die Gärten. Im Nahbaurecht selbstverständlich, genehmigt vom Bauamt Winterthur.

Es wird dicht in Winterthur. Wir verdichten unsere Oberfläche und decken sie laufend mit Eisen, Teer und Beton zu. Kaum mehr Platz zum Atmen bleibt übrig. Nicht nur für die Erde, auch für uns Menschen, Pflanzen, Tiere und Steine eingeschlossen. Verdichtetes Bauen nimmt uns die Energie. Der Elektrosmog nimmt zu – die natürlichen Informationen im Gegenzug ab.

Bekanntlich wird in der Homöopathie Materie verschüttet. Je weniger Materie, desto höher die Potenz. Umso grösser die Wirkung durch Information. Das ist vielleicht in unserem Internet- und Handyzeitalter vergessen gegangen: Materie sei ein Abklatsch von Information. So zumindest erzählt es die Homöopathie. Je weniger Substanz im Kügelchen steckt, umso stärker wirkt die Arnika.

Uns wird also mit dem verdichteten Bauen die hochkarätige Luft genommen. Mehr noch: Rotzt man diese Bauten eines Tages wieder ab, und sieht man von Auge nichts mehr vom Schrott, tritt in verstärkter Form hervor, was darin alles festgehalten wurde. So auch im Sulzerareal. So hochwertig diese Industrie für unsere Stadt auch gewesen war, viel Leid und Verdruss, Tränen und Wut, vom Dunst aus dem verseuchten Boden nicht zu reden, dringt nun durch die Ritzen dieser urbanen Stadt im Tössfeld. Der Kopf von diesem Komplex, der einst Saturn und andere bildeten, ist längst wieder leer. Den Geschäften fehlt es an Umsatz, im Lokwerk ziehen bekannte Namen wieder aus. Die Menschen meiden das Quartier. Die schönen Parkanlagen und die weniger dichte Stadt liegen nämlich dort, wo Menschen gerne draussen sind. Der Umschwung ist nach wie vor ein wichtiges Gut. Natürlich nehmen die Bewohner von Jahr zu Jahr zu. Doch wenn wir alles verdichten, bleibt uns eines Tages die Spucke weg. Wir brauchen die Informationen, und zwar die hochpotenzierten, ansonsten bleibt alles Leben aussen vor. Wenn ich die menschenleeren Läden sehe, die einst die Zürcherstrasse hätten mit Leben beseelen sollen, dann glaube ich die Homöopathie hat Recht. Zu dicht ist wirkungslos.


Heiner Dübi,
19.7.2014, 113. Jahrgang, Nr. 44.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.