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«Wandzeitung» vom 21.12.2017:

Die Revolution lebt weiter:

China in Berlin.

"Die Kulturrevolution wird in China nicht verschwiegen, aber aufgearbeitet wird sie auch nicht." Das sagt Kurator Huangsheng Wang der die Ausstellung im Berliner Museum gestaltet hat. "Die Revolution lebt in den Bildern weiter".Wir wissen es längst: Kritik an Regierenden ist in China nicht gern gesehen, und je nachdem, welche Position man dann gerade innehat, wieviel Macht dabei ist, kann man Katastrophen und Erdbeben in Kultur und Bildung auslösen. Die "Kulturrevolution" vom Mai 1966, die Mao inszenierte, hatte zur Folge, dass die erstarkenden Kritiker im Kulturministerium von einem Tag auf den anderen entmachtet wurden.

Jetzt kommt die Wandzeitung! Unsere Wandzeitung ist, wie ihr Chef Guido Blumer meint, die "kleinste Zeitung der Schweiz". In China hatten und haben Wandzeitungen Tradition und sind viel grösser als die unsrige. Eine Professorin an der Universität Beijing hat Maos Aktion als Aufruf verstanden, es ihm gleichzutun: sie bezichtigte die Leitung der Hochschule auf einer grossen Wandzeitung öffentlich der Unfähigkeit. Das war ein Affront in einem Bildungssystem, das nach wie vor von konfuzianisch-autoritären Regeln durchdrungen ist. Nach dieser Aktion wurde bald im ganzen Land ein Aufbegehren, vor allem der Studierenden, spürbar, das im Zusammenbruch des gesamten universitären Systems gipfelte. Die jugendlichen "Roten Garden" begannen eigenen Feldzug gegen alles, was ihnen als reaktionär galt. Die Roten Garden verloren das Mass und wurden gestoppt: das Verteidigungsministerium griff mit der Armee ein, um das Chaos im Land zu beenden.

Das offizielle Ende der Kulturrevolution fand erst im Herbst 1976 mit dem Tod von Mao statt. Die Bilanz: 2 Millionen Tote, 36 Millionen Verfolgte. Und 17 Millionen Chinese wurden zur "Umerziehung" aufs Land geschickt. Der gegenwärtig amtierende Staatspräsident Jinping Xi wurde als 15jähriger zusammen mit seinen Eltern ebenfalls aufs Land geschickt - und mit ihm eben die paar Millionen Chinesinnen und Chinesen. Nahezu jede Familie war betroffen. Und unzählbar sind die zerstörten Kulturschätze, Tempel, Artefakte und Bücher. Unrettbar verloren.

Eltern und Lehrer wurden von ihren Kindern und Schülern denunziert und zu Tode geprügelt. Am 17. Mai 2016 erschien in der staatlichen Zeitung Chinas ein Artikel, in dem erstmals eingeräumt wurde, dass die Kulturrevolution ein "Fehler in Theorie und Praxis" war.

Die Ausstellung in Berlin zeigt schmerzvolle Bilder; die chinesische Auseinandersetzung funktioniert über die "roten Bilder", im Chinesischen eine Synonym für die Kulturrevolution. In der chinesischen Sprache gibt es keine Vergangenheitsform, sie kennt nur das Präsens. In diesem Sinn ist die künstlerische Verarbeitung dieser Epoche auch eine politische. Die chinesischen Fotografen beziehen in dieser Ausstellung Position zur Mao-Ära. - Sie ist noch bis am 7. Januar 2018 zu sehen.

 

 


André Bernhard,
21.12.2017, 116. Jahrgang, Nr. 355.

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