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«Wandzeitung» vom 22.5.2017:

Grillsaison für Vegetarier:

Hört auf, über mein Essen zu sprechen.

Sobald die Temperaturen über 20 Grad steigen, scheint sich in Herr und Frau Schweizer eine Art Urinstinkt zu regen: Sie wollen Fleisch. Saftiges, gebratenes, zischendes, tropfendes, fettiges, krosses Fleisch. Auch nach sechs Jahren vegetarischem Lebensstil kann ich das nachvollziehen. Ich mag den Geruch von gebratenem Fleisch. Ich finde es zum Beispiel faszinierend, wie toll gebratener Speck riecht.

Trotz des olfaktorischen Verständnisses für Karnivoren mangelt es mir an der grundsätzlichen Lust, Fleisch zu essen. In meiner Vorstellung bedeutet das nämlich, meine Zähne in ein Stück totes Tier zu schlagen, und das finde ich nun mal irgendwie eklig. Jedes Mal, wenn ich eine Bratwurst auf dem Grill rieche, startet mein Gehirn die natürliche, angeborene Reaktion: «Lecker! Iss das!» Dann jedoch gesellt sich ein anderes Stimmchen hinzu, dass mir erklärt, was eine Kalbsbratwurst eigentlich ist: Vermantschte Tierkadaver, welche man, mit einigen Zusätzen versetzt, in den Darm eines anderen Tierkadavers gepresst hat. Bevor Sie nun aber entsetzt die Augen aufreissen und sich über militante Vegetarier aufregen, die einem das Fleischessen versauen wollen: So bin ich nicht. Wenn ich meinem Freund zusehe, wie er mit glänzenden Augen und verträumtem Lächeln in einen Burger beisst, freut mich das sehr. Ich koche Fleisch für andere. Ich esse Saucen, in denen Fleisch gekocht wurde. Ich pule manchmal, wenn ich zu Besuch bin, einzelne Speck-, oder Schinkenstückchen kommentarlos aus Aufläufen oder Gratins. Als «liberaler Vegi» befinde ich mich in einer unangenehmen Position: Bei den Fleischessern mache ich mich als Vegetarier grundsätzlich erstmal unbeliebt, weil die meisten von ihnen annehmen, ich würde sie aufgrund ihres Ernährungsstils verurteilen und mich aus irgendeinem bekloppten Grund für moralisch überlegen halten.

Die Hardcore-Vegetarier hingegen sehen mich als Verräterin ihres Lebensstils und werfen mir vor, das Ganze zu wenig ernst zu nehmen. So richtig recht machen kann ich es keinem ausser mir selbst. Bitte hört auf, ständig mein Essen zu kommentieren. Ich weiss, wie lächerlich meine Vegi-Bratwurst mit diesen aufgemalten Grillrost-Abdrücken aussieht. Ich will sie trotzdem in Ruhe essen dürfen.

Viele Besucher von Grillfesten verstehen Vegetarismus nämlich als Aufforderung, dieses Thema als Konversationsstimulator zu verwenden. Entweder kommt dann eine unaufgeforderte und uninteressante Rechtfertigungs- («Ich iss ja au sälte Fleisch, aber wänn, dänn nume bio, nöd das Chäfigpoulet us Ungarn.») oder Schimpftirade («Das isch doch ungsund, und für de Sojaabau für din Tofu holzeds dänn imfall weisch wie vill Rägewald ab.»), der man sich nur durch Augenrollen oder eine Kehrtwendung entziehen kann. Die Grill-Zeit ist wunderbar und sollte zelebriert werden. Deshalb, dem Frieden zuliebe, liebe Fleischliebhaber: Bitte macht es möglich, dass euch mein Konsum von Soja und co. genauso egal sein kann wie mir euer Fleischkonsum. En Guete!


Anita Hofer,
22.5.2017, 116. Jahrgang, Nr. 142.

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