Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 19.5.2017:

Lieber Benedikt:

4/39.

Ich weiss nicht, wie man einen Heiligen korrekt anredet, also sage ich einfach mal «lieber Benedikt». Natürlich meine ich den Benedikt von Nursia, den Gründer des Benediktiner-Ordens und nicht etwa den noch nicht heiligen ehemaligen Papst Benedikt, den ich zwar auch schätze, vor allem deshalb, weil er richtig gut Klavier spielt. Nun also: Lieber Benedikt, du hast die Regeln deines Ordens in einem Buch festgeschrieben, Regeln, die alle Aspekte des mönchischen Lebens beinhalten. Und einige dieser Regeln sind auch für Nicht-Mönche wichtig und richtig. Die Regel 39 im vierten Kapitel hat es mir besonders angetan, und sie hat mein Leben verändert. Sie ist kurz und eindeutig:

NICHT MURREN. Wir würden im heutigen Jargon sagen: nicht motzen. Es gibt dazu viele Synonyme: meckern, sich beklagen, bemäkeln, bekritteln, reklamieren, granteln, maulen, raunzen und noch viele mehr. Vor einigen Jahren hatte ich eine Klasse übernommen, in der das Motzen ganz unwahrscheinlich grassierte; alles war allen zu viel: Schon wieder Französisch, ach, schon wieder ein Test, oh, die vielen Hausaufgaben etc. etc. Das hat mich so gestört, dass ich eine nachhaltige Lösung gesucht und bei dir, lieber Benedikt, gefunden habe.

Deine Regeln habe ich nicht alle gelesen und noch weniger umgesetzt, aber die 39. im vierten Kapitel, die hat’s gebracht: nicht murren. Wir haben vereinbart, dass jeder, der motzt, 50 Rappen in die Kasse zahlt, die uns dann eine Reise oder etwas sonst Angenehmes ermöglichen sollte. Die erste Woche mit deiner Regel war fruchtbar: Jeden Tag gab’s Geld. Aber nach einer Woche war es vorbei: Es wurde nicht mehr gemotzt. Was können wir daraus lernen? Erstens: Es geht am leichtesten über das Portemonnaie. Zweitens: Das Zusammenleben wird angenehmer ohne sinnloses Motzen.

In einem Manager-Interview habe ich dazu noch etwas gelernt: Schau zuerst, ob es sich lohnt, sich zu ärgern oder zu reklamieren. Falls es etwas Unwichtiges ist, lohnt es sich nicht, atme durch und lächle. Und falls es wichtig, aber nicht zu ändern ist (wie zum Beispiel das Wetter oder dein Alter oder Ähnliches): Sein lassen und sich nicht aufregen. Die wichtige Ergänzung dazu: Erstens, hinschauen, aber genau. Zweitens: Denken, aber nicht zu lange. Drittens: Handeln, aber nicht zu zögerlich. Das habe ich meiner damaligen und allen künftigen Klassen auch so durchgegeben und damit Erfahrungen gemacht.

Lieber Benedikt, das kam mir alles wieder in den Sinn, als ich vor einigen Tagen im Benediktiner-Kloster Fischingen in einer Messe mitgesungen habe. Der Geist der Klosterkirche, damit auch dein Geist ist spürbar – in den Gesängen der Schola Cantorum (von Winterthurer Männern gesungen) und in den Gebeten und Texten der Patres, von denen allerdings nur noch sechs das Kloster bewohnen. Und die sich wie ihre weit zahlreicheren Brüder in Einseideln an deine Regeln halten. Diese sind streng, aber es gibt noch strengere, beispielsweise bei den Trappisten.

Machen Regeln glücklich? Sicher nicht alle, vor allem wenn’s zu viele sind. Deine 39. aber halte ich in Ehren: Sie hat mir vieles erleichtert und bewusst gemacht. Danke.


Andre Bernhard,
19.5.2017, 116. Jahrgang, Nr. 139.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.