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Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
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«Wandzeitung» vom 8.1.2017:

märchenhafte wandlung:

die zeitung und der moloch.

es war einmal vor vielen, vielen jahren eine zeitung, in welcher die redaktoren neben anderem beharrlich anschrieben gegen den moloch, der damals die welt bedrohte. ihn zur strecke zu bringen vermochten sie nicht, dazu war er zu mächtig. aber die menschen wenigstens ein wenig abzubringen von ihrer besessenheit und von der sucht, ihm blind zu verfallen, das war immerhin das bestreben der ‚zeitung‘. denn der moloch zermalmte leute unter sich, fraß sich in die landschaft hinein, verpestete mit seinen ausdünstungen die luft und vergiftete die böden, und in der folge veränderte er das geschäftliche und gesellschaftliche leben, indem eine konzentration von handel und gewerbe überhand nahm. die kleinen verloren dabei ihre existenz. agglomerationen wucherten in die breite und ortschaften wurden entzweigeschnitten.

dagegen kämpfte die ‚zeitung‘ an. dann aber wurde es dem moloch zu viel. er bäumte sich auf. er zwang die ‚zeitung‘ in die knie, indem er keine inserate mehr schaltete, und so musste sie kleinlaut nachgeben. denn von den inseraten lebte sie weitgehend. entweder wechselte sie schleunigst jene journalisten aus, die gegen den moloch angeschrieben hatten, oder es gelang ihr, sie umzupolen. seither haben die angriffe in der ‚zeitung‘ nicht nur aufgehört, nein, es erscheinen nun sogar seitenlange elogen, in denen sie dem moloch huldigen. wirtschaftlich scheint es der ‚zeitung‘ gut zu bekommen. sie hat mit den jahren sogar andere, kleinere blätter hinzukaufen können, und auch diesen scheint der minnedienst auferlegt worden zu sein.

der moloch hat sich seither nicht etwa besänftigt. die ansprüche, die er an die welt stellt, werden nur immer größer. die pisten, auf denen er sich ausrollt, werden von vier auf sechs spuren verbreitert. die antriebe werden aufs achtfache des notwendigen vergrößert. die beanspruchten finanziellen mittel werden aufgestockt. und all das geschieht mit der freudigen oder knirschenden zustimmung der menschen.

lesen sie doch selber ein paar stilblüten, mit denen die zeitungsleute heute dem moloch flattieren, und dies nicht etwa in bezahlten inseraten, sondern im redaktionellen textteil. «die leichtigkeit, mit der es durch die wildnis geht, sucht ihresgleichen, gerade mit dem 258 ps leistenden v6-diesel.» «faszinierend auch, dass es möglich ist, die verschiedenen sitzkonfigurationen aus der entfernung einfach per app einzustellen.» (ta 24.12.) «so viel fahrspaß hat uns schon lange keiner mehr geboten. das paradies liegt eigentlich direkt hinter der grenze. verkehrsarme, kurvenreiche straßen, runter ins tal, dann wieder hoch auf die anhöhe.» «für die überlegenheit des augenblicks sorgt der 3,8-liter-v8-motor, der mit sieben gängen die hinterräder antreibt. was in 3,5 sekunden auf 100 km/h hoch schnellt oder in 10,5 sekunden die 200-km/h-grenze knackt, der ärgert platzhirsche à la porsche 911 turbo.» (ldb 12.11.)

die 200-er-grenze in zehnkommafünf sekunden, und still schmelzen die gletscher.


Alfred Vogel,
8.1.2017, 116. Jahrgang, Nr. 8.

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