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«Wandzeitung» vom 9.6.2017:

EINSATZ:

Unerträgliche Seichtigkeit des Scheins.

http://www.quäldich.de WEBSITE

Ich will nicht darauf hinaus, dass man sich in Deutschland besonders gut quälen oder quälen lassen kann, im Gegenteil. Der Server könnte ebensogut in Tonga stehen und die Website somit quäldich.to heissen. Worauf ich hinaus will, ist, dass es verschieden Formen und Ursachen der Qual gibt. Soweit wie die Höllenqualen der Divina Commedia von Dante wollen wir gar nicht leiden. Nur schon mit dem Bike auf den Kamor reicht. Er stellt seinem hebräischen Namen zum Trotz keine Erhebung in der Negev-Wüste dar, sondern ist ein Appenzeller Berg. Dass die hohe Suizidrate des Appenzells zeigt, dass dort die Qualen besonders ausgeprägt sind oder das Leben besonders ausgeprägt als Qual wahrgenommen und ihnen häufig ein Ende gesetzt wird, würden den Rahmen der heutigen Kolumne sprengen.

Die Quäl-dich-Webseite zeigt freiwillig auf sich genomme Qualen zur Stärkung von Muskulatur, Kreislauf und Geist durch Strapazen auf dem Velo. Sie könnte auch maso.ch heissen, stünde der Server z. B. im Appenzellerland. Aber solche Qualen meine ich nicht, sie dienen im besten Fall der Erhöhung der Kondition und im schlechteren, wenns beim Downhill kracht, der Erhöhung der Gesundheitskosten. Das ist alles bei der hiesigen Prosperität erträglich. Obschon ebenfalls meist freiwillig auf sich genommen und nicht wie in der Divina Commedia dem Sünder zur Busse aufoktroyiert, ist die Qual der unerträglichen Seichtigkeit von Scheinliteratur unerträglich.

Ich höre Sie vor dem Aushang an der Obertor stehen und lachen, der Autor meine wohl sich selber. Aber nur schon der Umstand, dass Sie einer der einzigen oder vielleicht gar der einzige sind, der die «Wandzeitung» liest, gibt mir Rechtfertigung. Denn es gibt in hoher Auflage Erschienenes, Quälendes. Und weit häufiger als meins. Mithin quälen Myriaden von Schreiberlingen Unmengen von Lesern. Und ich nur die eine oder den andern.

Das mit der Qualvermeidung ist schwieriger als man denkt, weil es drei Gruppen von Lesern gibt, die sich unter unterschiedlichen Voraussetzungen gequält fühlen oder nicht. Einmal die Indifferenten, die kann man mit allem bedienen, ohne dass sie Qual empfinden. Dann die Gesinnungsästheten, die alles quält, was der herrschenden politisch korrekten Idelogie widerspricht. Denen gilt es mit schonungslos offensivem Denken und Schreiben entgegenzutreten. Rücksicht auf ihre Qual darf man keinesfalls nehmen, auch wenn sie unablässig Empathie einfordern. Und an Literaturwettbewerben wie den unlängst wenigstens für dieses Jahr verblichenen Solothurner Labertagen omnipräsent sind. Und schliesslich jene, welche durch die Kontaminierung des Denkens durch inhaltsloses Geschwurbel, Leerformeln und Kaschierung der Wahrheit gequält und gepeinigt werden. Letztere müssen wir schützen, für sie müssen wir schreiben. Und zwar geradeheraus.

Mit dem Kollateralschaden, dass sich jene gequält fühlen, welche die Wahrheit in Watte bevorzugen. Und häufig mit dem Kollateralschaden, nur von einer kleinen Minderheit wahrgenommen zu werden.


Adrian Ramsauer,
9.6.2017, 116. Jahrgang, Nr. 160.

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Standpunkte:

10.6.2017, 08:58 Uhr.

Herbert Danzer schrieb:

Ich hoffe ja sehr, dass die «Wandzeitung» nicht nur von einer einzigen Leserin, einem einzigen Leser gelesen wird; Ihre beneidenswert eloquenten Beiträge liefern jedenfalls einen guten Grund dafür, die Website der «Wandzeitung» anzuklicken!

Lieber Herbert. Es ist zwar noch immer so, dass nur wenige Menschen auf unsere Texte reagieren, aber wir können monatlich von 3000 Lesenden ausgehen, die durchschnittlich fünf Minuten lesen. Liebe Grüsse, Guido.


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