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«Wandzeitung» vom 25.10.2017:

EINSATZ:

Blinder Fleck.

Überwachen und Strafen. MICHEL FOUCAULT.

Hätten Sie das gedacht? In einem Teil der Bahnhofunterführung der kleinen, beinahe grossen Stadt, die wir alle gut kennen, gibt es keine Überwachungskameras. Mindestens 10 Ausrufezeichen!

Gelegenheit für die kostenpflichtige Gratiszeitung, die hierorts monopolisiert, dieses zu beklagen. Aus einer Gerichtsverhandlung berichtet sie, bei der es zu einem Freispruch kam. – Äh nein. Es gab eine Verurteilung. Was denn sonst? Freisprüche sind selten. Vielleicht, wenn der Mond im 7. Haus steht und Jupiter auf Mars zugeht. Das fehlende Videomaterial führte einzig dazu, dass die Beweisführung schwieriger wurde. Das kann bekanntlich ein Gericht nicht von einer Verurteilung abhalten. Obschon das Urteil alles andere als rechtskräftig ist, wurde der Verurteilte im Bericht bereits als Täter dargestellt. Eine lässliche Sünde. Verletzt ja nur die Menschenrechtskonvention, und die ist eh von ausserhalb.

Ich weiss, ich habe einen blinden Fleck. Wenn ich von Überwachung lese oder höre, gehe ich von der überwältigenden Mehrheit der Korrekten aus, die in ihrem Selbstbestimmungsrecht beeinträchtigt werden. Die einen Anspruch haben, nicht überall, wo sie gehen und stehen, beobachtet zu werden. Aber, was ist schon ein Grundrecht? In schwierigen Zeiten muss man zusammenstehen. Und das ewige Gerede vom Rechtsstaat bringt uns noch in den Untergang. Ausser dort, wo er zur Verurteilung führt.

Der Bericht hat keinen blinden Fleck. Ein Wort über den grundrechtlichen Anspruch? Eine Abwägung zwischen dem Eingriffsinteresse des Staates und dem Interesse an der Verfolgung von Straftaten? Ein Hinweis auf die erforderliche gesetzliche Grundlage, erlassen in den hierorts gültigen demokratischen Verfahren und nicht nach Wunsch und Belieben? Pfeifendeckel! Und einen Staatsrechtler fragen, reine Zeitverschwendung an die Expertokratie.

Dafür eine Kioskverkäuferin zitieren, die im nicht überwachten Bereich arbeitet. Sie findet, eine Kamera würde dabei helfen, dass die Leute «vermutlich» nicht mit dem Velo hinunterrasen und in der Nacht vor die Türe des Kiosks pinkeln. Das «vermutlich» ist die unbewusste Konzession an die Schwäche unseres Justizsystems, über keine gesicherte Datenlage zur Wirkung von Überwachungen und Strafen zu verfügen. Die gefühlte Wirksamheit muss genügen.

So antisozial das Rasen und Pissen an der falschen Stelle ist, so wenig reicht es zur Begründung einer Überwachungsmassnahme aus. Wenn wir als Kollektiv nicht lernen, uns einigermassen gesittet in der Öffentlichkeit zu benehmen, hilft auch der ausgebauteste Repressionsapparat nichts.

Ach ja, an die Nützlichkeit von Überwachungsvideos glaubt nur, wer noch nie die lausigen Bilder, oft verzerrt durch ein Fischaugenobjektiv, ausgewertet hat. Sie zeigen häufig nicht das Gesicht, sondern ein wenig aussagekräftiges Kleidungsstück von hinten. Keine Rede von einer Tonspur, die Licht in die Motivlage bringen könnte.


Adrian Ramsauer,
25.10.2017, 116. Jahrgang, Nr. 298.

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