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«Wandzeitung» vom 15.5.2017:

Düstere «Euro-Vision» der Selbstgerechtigkeit und Arroganz:

Russland blieb draussen.

Mir erschien der Eurovisionswettbewerb immer als ein schräges Spektakel. Nicht nur wegen der oft zweifelhaften Auswahl von InterpretInnen ihrer Liedkunst. Trotz aller Bemühungen, mit Zuschauerabstimmungen Volksnähe zu demonstrieren, hatte ich stets das Gefühl, dass es sich um eine abgekartete Sache handelt, bei der die politische Konjunktur entscheidet. Natürlich wurde dieser Eindruck nicht zuletzt durch die Wettbewerbsbestimmung verstärkt, nach der jeweils der nächste Contest im GewinnerInnen-Land durchgeführt wird. Da ich aber grundsätzlich für Begegnungen jeder Art bin, fand ich den Musikzirkus trotz seiner bizarren Unbeholfenheit als Gelegenheit der europäischen Begegnung ganz nett.

Leider demonstrierte er bei seiner diesjährigen Ausgabe in Kiew, wie wenig dieser Faktor bei den Veranstaltern zählt und wie politisiert die ganze Show ist. Mit dem Ausschluss der behinderten russischen Sängerin Julia Samoilowa, der die Ukraine die Einreise verbot, wurde klar, dass hier bestimmt wird, wer zur europäischen Familie gehört und dass der Eurovision Song Contest (ESC) nicht mehr ist als ein politisches Spielzeug. Europa feierte sich in Kiew – das Fehlen der Russen war schon vor Beginn schnell vergessen. Alle gaben sich mit der fadenscheinigen Begründung Kiews zufrieden, der Sängerin sei die Einreise wegen ihres Auftritts auf der Krim verboten worden. Den meisten westlichen Medien war höchstens die Weigerung des ersten russischen Kanals, die Veranstaltung zu übertragen, eine Meldung wert. Dies wurde mit Empörung zur Kenntnis genommen – den Russen sei der Contest "weggenommen" worden, kommentierte beispielsweise die Deutsche Welle. Als würden sich die Russen an eine Party ergötzen, von der man sie ausgesperrte.

Auch für die Veranstalter, die versprochen hatten, sich bei den ukrainischen Behörden für die russische Sängerin einzusetzen war die Sache offenbar bald "gegessen". Zynisch bot man ihr die Teilnahme per Direktübertragung aus Russland an – von Strafsanktionen gegenüber der Ukraine war keine Rede. Die singende Zunft fand den Entscheid offenar ebenfalls ok – zumindest gab es von seiten der heren Kunst keinerlei Zeichen der Solidarität gegenüber der russischen Kollegin. Einmal mehr wurde Russland in die Schäm-Dich-Ecke gestellt, während sich ein selbstgerechtes und arrogantes Europa bei den Ukrainern anbiederte. Die sonst so politkorrekte Euro-Klasse vergass dabei, dass sie damit symbolisch die Behinderten ausschloss und eine Landessprache – denn Russisch sprechen auch knapp 20 Prozent aller Ukrainer.

Mir ist völlig bewusst, dass die Angelegenheit auch auf russischer Seite nach Kräften politisch ausgeschlachtet wurde. Die Art und Weise, wie der erste russische Fernsehkanal, das Polit-Sprachrohr der Kreml-Administration, die Absage aus Kiew breitschlug, widerte mich an. Doch diesmal kam der Rüffel klar und deutlich aus dem Westen und zwar in einem Bereich, der sich lobt, über aller Politik zu stehen. Während der ESC in Kiew über die Bühne ging, feierten die Russen verbissen ihren Sieg im Weltkrieg – als wollten sie sagen: Ihr könnt ohne uns – und wir ohne Euch!


Eugen von Arb,
15.5.2017, 116. Jahrgang, Nr. 135.

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