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«Wandzeitung» vom 4.2.2018:

Bin hoffentlich weg:

Zerfleddertes Hirn.

Wenn Sie diesen Text lesen, bin ich hoffentlich unterwegs. Falls nicht, dann darum, weil wir uns nicht entscheiden konnten, wohin es gehen soll. Was für eine Unterkunft wir genau wünschen. Wo sie stehen soll. Klar, solche Entscheidungen sind nicht ganz einfach, schon gar nicht bei unterschiedlichen Vorstellungen. Die letzten Jahre waren wir nicht mehr im Schnee, zuvor immer am selben Ort. Der letzte Winter war so warm, dass wir uns kurzfristig entschieden, nach Venedig zu verreisen.

Dieses Jahr aber liegt Schnee, viel sogar und die letzten warmen Tage mochten ihn nicht wegschmelzen. Wohin also? Mitten ins Weiss, wünschte ich mir. Autofrei. Sonnenboden. Nettes kleines Chalet, damit wir niemanden stören, wenn wir die Instrumente mitnehmen, falls es einmal schneit. Klein, romantisch, ohne Touristen, meinte M. Wo also suchen? Internet findet alles, dachten wir und setzen uns vor die Kisten.

Drei Stunden später waren wir entnervt. Alles regte mich auf: Das Rascheln von Füssen auf dem Boden. Der erkaltende Tee in der Tasse. Der Sonntagszopf, den ich vergessen hatte und der so lange aufging, bis er am feuchten Tuch klebte. Das milde Wetter, die Wohnung, die schlafende Katze – einfach alles!

Meine Laune war auf dem Nullpunkt. M. ging es ebenso, er verschwand in seine Wohnung. Und warum?

Der Nachmittag, auf den ich mich gefreut hatte, war weg, vorbei. Der Spaziergang, nicht gemacht. Das mögliche Gespräch, erzählen, austauschen – keine Zeit. Hatten wir wenigstens unser Traumziel gefunden? Selbstverständlich nicht. Nur die Zeit, Lebenszeit ganz eigentlich – die war weg. Und das machte mich sauer und unzufrieden. Und niemand da, an dem ich meine Laune auslassen konnte, keine Schuldige weit und breit. Was genau war geschehen?

Ich hatte mich verführen lassen. Von der schieren Fülle von Informationen im Netz. Jedes Ferienbild rief sogleich nach einem neuen. Kein Ort fix, alles möglich und doch nicht richtig erkennbar. Lauter Informationen, die ich weder wollte noch brauchte, mir aber trotzdem vor der Nase aufflashten, bis ich ein total zerfleddertes Hirn hatte, sauer und unzufrieden war.

M. kam zurück: „Lass uns nächsten Sommer mit dem Velo ein Reisli machen und mit eigenen Augen herausfinden, wohin wir im Winter gehen werden“, meint er.

Da kam mir der Artikel in der Lokalzeitung in den Sinn: Es brauche noch mehr Schwung im Wahlkampf, schrieb eine Redaktorin. Was genau sie wohl meinte? Inseratevolumen? Internetauftritte? Facebook Posts, die dann von der Zeitung kommentierte werden können? Also der Politmüll, der einem ebenfalls das Hirn zerfleddern lässt, wie die Suche nach einer Unterkunft im Internet?

Die Aufgabe der Lokalzeitung besteht aus meiner Sicht darin, gute redaktionelle und auch recherchierte Beiträge zu politischen Geschehen in dieser Stadt zu liefern. Damit wir, das Volk, uns konstant unsere Meinung bilden können. Das reicht. Kampf braucht es dazu nicht. Wohl aber politische Meinungsbildung. Grundlage dafür ist die Medienvielfalt. Die fehlt in Winterthur. Die «Wandzeitung» sollte politischer und vor allem breiter verankert werden. Oder aber die neue Republik muss Lokalseiten produzieren.


Marlies Bänziger,
4.2.2018, 117. Jahrgang, Nr. 35.

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