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«Wandzeitung» vom 24.3.2018:

Ich weiss nie, ob ich mich hier zu Politik oder sozialen Themen äussern sollte:

Vom Zugfahren, oder so ...

Ich weiss nie, ob ich mich hier zu Politik oder sozialen Themen äussern sollte. Ich verstehe wahrscheinlich nicht mal einen Viertel so viel davon, wie die anderen Autoren, die für diese Zeitung schreiben, oder die Leser, die sie lesen. Ich bin ja nicht einmal seit mehr als zwei Jahren volljährig und würde mich bestimmt nicht als erwachsen bezeichnen. Zu behaupten, ich wüsste, wie die Welt funktioniert, wäre eine totale Lüge. Ich stolpere so durchs Leben und hoffe, mich dabei nicht völlig zum Trottel zu machen. Obwohl die Artikel, die ich hier veröffentlichen darf, mir die Möglichkeit geben, meine Meinung bekanntzugeben, schreibe ich nie von weltbewegenden Themen. Es sind einfach Erzählungen aus dem Leben einer „jungen Erwachsenen“, womit ich mich bestimmt besser auskenne als mit Politik. Deshalb habe ich mich auch dagegen entschieden, heute über ein wichtiges gesellschaftliches Problem zu schreiben und erzähle stattdessen von einer Situation, in der ich mich vor einigen Tagen wiederfand. Letztens sass ich also, wie jeden Morgen, im Zug zur Arbeit. Anfangs sind meist noch nicht allzu viele Leute da, doch an einer gewissen Haltestelle steigen oft ziemlich viele zu. Auch an dem Tag war das so, weshalb ich meine Tasche vom Sitz neben mir auf meine Knie nahm, um den Platz freizumachen. Ein Junge in meinem Alter setzte sich mir gegenüber hin, doch nicht bevor er seine Sporttasche auf den Sitz neben sich geworfen hatte, sodass die gesamte Sitzreihe erzitterte. Er schien wohl, so wie ich, kein grosser Fan von solch früher Stunde zu sein. Als er sich dann mit einem lauten Seufzen auf den Sitz fallen liess und die Beine von sich streckte, setzte ich mich ein wenig auf, um ihm Platz zu machen. Sozusagen als Friedensangebot für die Last, die die Welt ihm auferlegte, indem sie ihn zwang so früh schon wach zu sein. Doch der Platz machte keinen grossen Unterschied und so schlug sein Knie nur wenige Minuten später schmerzhaft gegen meines, als der Zug ein wenig ruckelte.

Ich drückte meinen Rücken stärker gegen die Lehne, sodass meine Kniekehlen gegen den Sitz gepresst waren. Der Typ wiederum sah dies als Einladung noch tiefer in seinen Sitz zu rutschen, sodass seine Beine meine zusammengepressten Knie flankierten. Den Rest der Fahrt sass ich dann verkrampft und wie an den Sitz geklebt da. Und ich war genervt. Es war einfach nur unfair, schliesslich war ich heute Morgen genauso aufgestanden wie er und obwohl auch ich kein Morgenmensch bin, verhielt ich mich rücksichtsvoll. Und aufgrund der Tatsache, dass ich das Zugticket bezahlt hatte, hätte mir, nach allgemein gültigen Gesetzen, genauso viel Platz im Zug zugestanden wie ihm. Wir waren genau gleich und trotzdem hatte dieser Kerl das Gefühl, er könne viel mehr Platz für sich beanspruchen und ich musste mich klein machen? Wieso müssen wir Frauen uns immer klein machen, wenn wir genau gleich viel investieren, genau gleich kompetent sind?

Wir haben Anspruch auf gleich viel Platz im Zug! (Und falls es noch nicht klar genug sein sollte, das Zugfahren ist eine Metapher) Doch wenn das nächste Mal mich jemand in die Enge zu treiben versucht, mit seinen langen Beinen und seinem aufgeblasenem Ego, dann werde ich noch tausend Mal stärker zurückdrücken und ich hoffe, ich werde nicht die einzige sein.


Noëlle Lee,
24.3.2018, 117. Jahrgang, Nr. 83.

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