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«Wandzeitung» vom 16.8.2014:

EIN SATZ:

Vollkasko.

Geben Sie Gedankensicherheit, Sire. Nicht nach Friedrich Schiller.

Keine Angst, kein Autothema diesmal. Der 14. Juli, der Tag des Sturms auf die Bastille, verging in der kleinen, fast gross gewordenen Stadt heuer ereignislos, wenn man von der diesen Sommer prägenden Kühle und Nässe absieht. Der 14. Juli 1789 war zwar nicht ereignislos, doch schon 1789 war keine Rede von Sturm. Der Kommandant mit seiner Kompanie Kriegsveteranen entschied sich zur Übergabe und mithin für die Feigheit, besser gesagt für die Vernunft vor dem zahlenmässig überlegenen Feind.

Aber im Gegensatz zum heurigen Sommer bestand 1789 eine gesellschaftliche Idee. Ein leuchtendes Dreigestirn am Horizont sollte dem – nicht in allem – finsteren Mittelalter ein Ende bereiten: Liberté, Egalité, Fraternité. Zumindest interpretierte Napoléon III. es später so, und mit der Zeit verinnerlichten es die Franzosen, zumindest im Sinne ihres Staatsmarketings. Und auch uns kommt nur dieser erste grundrechtliche Werbeslogan in den Sinn. Wenn man die Erklärung der Menschenrechte liest, findet man jedoch nur zwei der drei Elemente: Freiheit und Gleichheit. Dafür noch zwei weitere: Sicherheit und Widerstandsrecht. Man kann länger als nur einen Juliabend lang darüber diskutieren, welcher Säulen eine Gesellschaft bedarf. Und es ist auch nicht auszuschliessen, dass sich seit dem 18. Jahrhundert weitere Bedürfnisse entwickelt haben. Nur schon ein Duschgel war damals, als der Adel in Versailles seine Notdurft in die Büsche verrichtete, ja unbekannt. Vielleicht war das sogar der Hauptgrund der Revolution.

Ob man nun von drei oder vier Grundelementen ausgeht, die zu allem in einem Zielkonflikt zueinander stehen, ist piepenhagen. Freiheit und Gleichheit schliessen sich von vornherein aus. Und Sicherheit und Widerstandsrecht gegen Unterdrückung im nachhinein, wenn die Unterdrückung zur Gewährleistung der Sicherheit eingesetzt wurde. Napoléon hat noch den Zielkonflikt der Brüderlichkeit zu allen andern Elementen beigefügt. Der entsprechende Schlagabtausch erreichte während des kalten Krieges des 20. Jahrhunderts seinen Höhepunkt. Jedenfalls war damals 1789 klar, dass keinem der Elemente Vorrang vor dem andern zukommen konnte, sondern dass sie in einem Gleichgewicht zu stehen haben.

Damals. Nicht so heute. Obzwar der Wohlstand exponentiell gesteigert wurde. Obzwar Industrien von der sozialen bis zur technischen jede Regung im Alltag unterstützen. Obzwar soziale Sicherheit und materielle Voraussetzungen für Glück in unseren Breitengraden noch nie so ausgeprägt waren. Und wie reagieren wir Schlaraffen? Mit einer gefühlten maximalen Unsicherheit. Die wie der Neid gegenüber jenen Schlaraffen, die sich häufiger überfressen können als wir selbst, politisch bewirtschaftet werden muss. Mit allumfassender Sicherheit, alles reglementiert, versichert, zertifiziert, standardisiert und das Störende weggesperrt.

Geschafft. Ich habe mich weder zu einem N- noch zu einem F-Wort hinreissen lassen. Ich habe mutmasslich weder gegen die Antirassismusstrafnorm verstossen noch eine Persönlichkeitsverletzung begangen. Die Gesellschaft ist sicher vor mir. Ist sie das?

 


Adrian Ramsauer,
16.8.2014, 113. Jahrgang, Nr. 72.

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17.8.2014, 12:42 Uhr.

Ruth Huber schrieb:

Danke für Deinen Schlüsselsatz.


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