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«Wandzeitung» vom 13.7.2014:

Endlich Nachprüfungszeit:

Schottische Trainerhosenmentalität.

Während ich in Oerlikons Messehalle zwischen Hunderten von gestressten Studenten vor meinen Prüfungen sass, hörte ich immer wieder ins Mikrofon gebellte Sätze, wie: «Unerlaubtes Prüfungsverhalten wird protokolliert!» – «Erlaubt sind an ihrem Tisch ausschliesslich Gesetze und Schreibutensilien!» – «Das Verlassen des Raumes ist untersagt!»

Dabei dachte ich an die Voraussetzungen für das Zustandekommen von Gesamtarbeitsverträgen, Arbeitsrecht, an die Kriterien, nach welchen Organzuteilungen vorgenommen werden, Medizinrecht, an Miet-, Werk- und Pachtverträge der Römer während der ersten Jahrhunderte, an antike Rechtsgeschichte. Meine Gedanken schweiften jedoch immer wieder zu der lang ersehnten Nachprüfungszeit. Zu Freiheit, Freizeit – und vor allem – meinen bevorstehenden Ferien in Schottland. So träumte ich ab und zu von romantischen Bed & Breakfasts, von weiten, grünen Hügeln und von Scotch- und Biergenuss in den kleinen Pubs der Nebengässchen.

Und nun, ein paar Tage später, befinde ich mich im klischeemässig verregneten, aber wunderbar idyllischen Schottland und schreibe. Es bietet es sich an, einige Vergleiche zu ziehen, nur die essentiellsten Auffälligkeiten: Erstens, wenn man angerempelt wird, folgt praktisch immer ein «Sorry», und das mit Augenkontakt! Zweitens: Die meisten verbalen Kontakte beinhalten ein Lächeln und beschränken sich nicht nur auf den allernötigsten Wortformelaustausch: «Grüezi.» – «Cumulus?» – «Uf Wiederluege.» Drittens: Zirka 70 Prozent der schottischen Einwohner schlendern in der Freizeit konsequent in Trainerhosen und Schlabberpullis durch die Gegend. Ob dies grundsätzlich ein Augenschmaus ist, richtet sich allein nach dem Geschmack des Betrachters und nach dem Bauchumfang des Trainerhosenträgers, aber auf jeden Fall schimmert eine wirklich gemütlich-gelassene Grundeinstellung durch. Welch herrliche Abwechslung zu all den Louis-Vuitton-Taschen, Armani-Uhren und stylischen Dauerwellen in den Zürcher Hörsälen. Wie schön, daran erinnert zu sein, dass unbequeme Stöckelschuhe zum Shoppen gar nicht nötig sind, und dass man samstags auch ohne die neusten Accessoires und Business-Klamotten durch die Stadt flanieren kann. Aber keine Sorge: Ein wenig vermisse ich die Schweiz schon, und ganz besonders Winterthur. Aber ehrlich: Würde uns nicht manchmal ein wenig Lockerheit im Alltag guttun? Nicht, dass wir alle nur noch Trainerhosen tragen sollten, aber vielleicht keinen Wutanfall bekommen, wenn Bus oder Zug zwei Minuten verspätet fahren. Oder uns keine Mordszenarien ausmalen und genervt mit der Zunge schnalzen, wenn sich die resolute Dame in der Schlange zur Coop-Kasse vordrängelt und uns dabei sanft auf den Fuss stampft.

Ich glaube die Welt ist viel schöner, wenn man sie mit einer gewissen Gelassenheit betrachtet. Ich habe mir darum vorgenommen, die schottische Trainerhosenmentalität zumindest emotional mit zurück in die Schweiz zu bringen und dort ordentlich zu verbreiten.Vielleicht heisst die Mikrofon-Durchsage dann bei meinen nächsten Prüfungen: «Liebe Leute, bitte bescheisst nicht bei den Prüfungen, wir kontrollieren das. Später gehen wir dann alle ein Bier trinken, ich gebe einen aus.» Wäre das nicht wunderbar?


Anita Hofer,
13.7.2014, 113. Jahrgang, Nr. 38.

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Standpunkte:

14.7.2014, 12:24 Uhr.

Guido Blumer & Roger Rutz schrieben:

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