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«Wandzeitung» vom 23.4.2015:

Nach der Lektüre der «Geschichte des Todes» von Philippe Ariès:

Schlafes Bruder.

Wohin aber gehen wir – ohne Sorge sei ohne Sorge, wenn es dunkel und wenn es kalt wird – sei ohne Sorge – aber mit Musik. Was sollen wir tun – heiter und mit Musik – und denken heiter – angesichts eines Endes mit Musik. Und wohin tragen wir am besten unsre Fragen und den Schauer aller Jahre in die Traumwäscherei ohne Sorge sei ohne Sorge. Was aber geschieht am besten, wenn Totenstille eintritt. Ingeborg Bachmann: Reklame.

Im Frühmittelalter starb man üblicherweise im Kreis der Familie, im festen Glauben an die unsterbliche Seele und daran, dass der Tod kein Ende, sondern nur den Übergang ins ewige Leben bedeutete; weder Messen noch Fürbitten waren notwendig. Durch die als Strafe Gottes angesehenen Pestepidemien veränderte sich das Bild: Nun entwickelte sich die Angst vor der Hölle, und für ein halbes Jahrtausend wurde der Tod hauptsächlich ein Anlass für Messen – und lukratives Geschäft für die Kirche. Im 19. Jahrhundert glaubte man dann kaum noch an die Hölle; man fürchtete sich nicht mehr vor ihr und dem Teufel, aber dafür vor dem Sterben an sich.

Am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts, im Zeitalter des triumphierenden Turbokapitalismus also, steht die Rastlosigkeit von Arbeit und Freizeitvergnügen beim modernen Menschen derart im Vordergrund, dass Gedanken an den Tod verdrängt werden. Die Ekel erregenden Begleiterscheinungen des Sterbens veranlassen viele Familien, die Sterbenden nicht mehr im Haus sterben zu lassen, sondern sie ins Krankenhaus zu bringen. Der Umgang mit Sterbenden und Toten wird zusehends Experten übertragen. Der Kranke wird im Spital deponiert, der Tote hinter diversen Hüllen versteckt: Zuerst im Sarg, dann im Leichenwagen, zuletzt hinter den Mauern der Aufbahrungshalle und den Steinen der Gruft in der Abgeschiedenheit des als blühende Parkanlage getarnten Friedhofs.

Die rasant gestiegene Lebenserwartung bringt es mit sich, dass – von Ausnahmen wie Unfallopfern oder infolge von unheilbaren Krankheiten frühzeitig Dahingerafften abgesehen – der Tod ohnehin nur die ganz Alten betrifft, die kaum mehr viel zur Steigerung des Bruttosozialprodukts beitragen können. Ein plötzlicher Tod in höherem Alter, wenn man von der Gesellschaft nicht mehr gebraucht wird, wenn das physische Sterben also nur mehr eine erwartete Folge des sozialen ist, das gilt als erstrebenswert. Immer schwerer fällt das Gespräch mit Kranken und Sterbenden, immer schwerer fällt es aufgrund der Tabuisierung nicht nur des Todes, sondern auch der Trauer den Hinterbliebenen, sich zu artikulieren.

Die Gesellschaft als Gesamtheit scheint nicht mehr dazu in der Lage zu sein, dem Tod Sinn zu geben, weil die Zeit der allgemeingültigen Sinndeutungen vorbei ist. Da jeder seinen eigenen Tod stirbt, ist es auch jedem Einzelnen überlassen, ob er dem Tod einen Sinn geben will oder ob er ihn als absurden Endpunkt einer absurden Existenz sehen will. Das Einzige, das man über den Tod weiss – ansonsten weiss man ja, da man noch lebt, nichts über ihn –, ist, dass einmal dieses lange Sterben von der Geburt weg beendet sein wird. Viel ist das nicht ...

 


Herbert Danzer,
23.4.2015, 114. Jahrgang, Nr. 113.

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