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«Wandzeitung» vom 23.5.2015:

Berichterstatter:

Ein U-Bahn-Gespräch.

«Da heisst es immer, Wien sei eine der saubersten Städte. Aber wenn ich mich so im Waggon umschaue – überall liegen diese Zeitungen herum, schrecklich!»

«Da hast du nicht ganz unrecht. In Wien fallen pro Jahr mehr als 50 Millionen Liter Müll in den U-Bahnen, Strassenbahnen und Bussen an und mehr als die Hälfte davon ist Altpapier. In Berlin hingegen sind es, obwohl es dort 70 U-Bahn-Stationen mehr gibt, nur 20 Millionen Liter. Aber du selber liest ja auch gerade in einer dieser Gratiszeitungen. Ist die Lektüre wenigstens interessant?»

«Mann hat Sex mit Hund ...31-Jährige hat Sex mit einem Baum ... Mann, der Sex mit Briefkasten hatte, ist tot ... Einbrecher hat Sex mit einem Teddybär ... Hier hat ein Mann Sex mit einem Fahrrad ...»

«Tja, man will eben die jugendliche Zielgruppe der Ö3-Hörer ansprechen. Und wozu Qualitätsjournalismus für die fünf bis zehn Minuten Lesezeit, die ein Fahrgast erübrigen kann?»

«Qualität? Ist das nicht die Zeitung, die Interviews erfindet, über Veranstaltungen berichtet, die gar nicht stattgefunden haben, und vor den Feiertagen aus Ersparnisgründen für Tage im Voraus gedruckt wird?»

«Wer schimpft, liest. Ausserdem ist die Zeitung ja gratis.» – «Wovon finanziert sich so ein Blatt dann überhaupt?» «Aus Werbung. Du brauchst ja nur mal umzublättern. Aber in Österreich finanziert sich die Presse insgesamt zu etwa 75 Prozent aus Werbung.»

«Auffällig, dass so viele öffentliche Institutionen hier werben ...» «Man schätzt, dass mehr als ein Viertel der Inserate dieser Zeitung von öffentlichen Stellen geschaltet werden. Staatliche Institutionen haben zuletzt jährlich ungefähr 200 Millionen € für Werbung ausgegeben, besonders an die Boulevard- und Gratiszeitungen. Allein die Stadt Wien blechte im vergangenen Jahr über 40 Millionen für Inserate. Und das Blatt, das du gerade in der Hand hältst, kassierte im letzten Jahrzehnt über 80 Millionen von öffentlichen Stellen.» – «Hui! Und wieso inserieren sie so viel?» – «Wie zuletzt der Vizekanzler feststellte, gibt es in Österreich sehr wohl einen Zusammenhang zwischen Inseratenaufträgen und positiver Berichterstattung. Dieser wurde 2012 in einer Studie von Innsbrucker Politologen auch wissenschaftlich nachgewiesen. Anders ausgedrückt: Als zahlungskräftiger Politiker hält man sich mit Steuergeld Zeitungen gefügig, kauft freundliche Berichte und vermeidet unangenehme. Schliesslich steht sogar in Journalistendienstverträgen, dass wohlwollende PR-Berichterstattung über die jeweiligen Inserenten unerlässlich sei.»

«Verstehe, niemand beisst die Hand, die einen füttert.» – «Böswillige Zungen sprechen hierzulande von Verhaberungs- und Verlautbarungsjournalismus, ja geradezu von Hofberichterstattung.» – Drum sagte der Bürgermeister, als der Kanzler ihn zur Senkung des Inseratenvolumens aufforderte: «Er macht, was er will, wir machen, was wir wollen.»

«Wie schrieb Fritz Grünbaum?» – «Man kann, wenn sie Bericht erstatten, genau, wer sie besticht, erraten. – Aber ich muss jetzt aussteigen. Spittelau. Nett, mit dir geplaudert zu haben. – Was machst du übrigens mit der Zeitung?» – «Na, wegschmeissen natürlich, was sonst?»

 


Herbert Danzer,
23.5.2015, 114. Jahrgang, Nr. 143.

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