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«Wandzeitung» vom 17.4.2015:

Meine Lieblingsmusik:

Aimez-vous Brahms?

Mais non! kann ich da getrost antworten. Als 16-jähriger Bursche war mir Brahms fremd, ich mochte diese Musik nicht. Romantik? Nein danke. Warum denn eigentlich nicht? Heute weiss ich auch keine Antwort darauf. Auch mit Mozart konnte ich bis 30 nichts anfangen. Der war mir fremder als Brahms. Wegen meiner Arbeit werde ich oft gefragt, was meine Lieblingsmusik sei, oder welches mein liebstes Instrument. Ich finde beides eigentlich Fragen, die nur mich angehen oder meine Freunde und Bekannten, und die wissen es doch schon, oder?

Jetzt muss ich gestehen, dass ich sehr wechselhaft bin, was Musikliebschaften anbelangt. Bei den übrigen Liebschaften bin ich schon etwas beständiger. Die Aversion gegen bestimmte Instrumente hat sich aus meinem Beruf ergeben. Das kam so: Während meines Studiums in Paris habe ich festgestellt, dass ich instrumental doch nicht so gut war, dass man darauf eine Karriere aufbauen könnte. Was lag näher als das Unterrichten? Resultat: Jeden Tag viele Schüler, die dasselbe Instrument spielten, dieselben Stücke, die gleichen Fehler machten, zu wenig übten und (zu etwa 90%) unbegabt waren. Da begann ich, des Instruments überdrüssig zu werden. Zwei Jahre habe ich es ausgehalten, natürlich war ich überfüttert, denn damals waren Musiklehrer schlecht bezahlt. Beispiel: 1969: pro gehaltene Stunde CHF 11.45 brutto, Zahltag nur viermal im Jahr, damit man nicht merkte, dass die Ferien unbezahlt waren.

Also, Instrument wechseln, Beruf wechseln. Gesagt, getan. Nach der Querflöte studierte ich Orgel, Violine, Klavier, Horn und verliebte mich jeweils kurz und heftig in die neuen Klänge. Wenn man mich fragt, welches meine Liebelingsinstrument sei, muss ich sagen, dass das wechselt, je nach Stimmung und Wetter ist es das eine oder das andere.

Mit der Lieblingsmusik ist es leider auch so. Zu Mozart habe ich ziemlich spät gefunden. Heute gehört er zu den festen Freunden meiner Freuden. Gegenwärtig habe ich gerade eine starke und längere Phase mit Uri Caine. Sie kennen ihn nicht? Hören Sie doch einmal rasch rein, zum Beispiel bei iTunes, wo man sich ja gratis die erste Minute jedes Stücks anhören kann. Wer ist Uri Caine? Ein begnadeter Pianist und ein ideenreicher Komponist. Am 8. Juni 1956 in Philadelphia in einer jüdischen Familie geboren – die Familiensprache war hebräisch. Sein musikalisches Universum hat sich aufgetan, als er beim französischen Jazzpianisten Bernard Peiffer studierte und zu komponieren und zu arrangieren begann. Ganz unglaublich sind seine Bearbeitungen von Bachs Goldberg-Variationen; um all die Feinheiten herauszuhören, bedarf es einer umfassenden Kenntnis vieler Stilrichtungen, sonst überhört man manche Zitate und Anspielungen. Ebenso interessant sind Beethovens Diabelli-Variationen, die mit hochkarätigen Interpreten bespielt sind. Wie oft ich auch in Caines Werke hineinhöre: Immer wieder gehen mir neue Aspekte auf, die Klangsinnlichkeit, die raffinierte Art des Zitierens und Verknüpfens sind berückend und auch beim wiederholten Anhören nie langweilig. Wenn Sie Anregung brauchen, hören Sie einmal eine Stunde Uri Caine: gut für die Seele, anregend für den Geist.


André Bernhard,
17.4.2015, 114. Jahrgang, Nr. 107.

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