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«Wandzeitung» vom 9.8.2015:

Prügelei in der Petersburger Metro:

Von Edelmut und blinder Aggression.

An diesem Sommerabend fuhr ich schon etwas müde und durchgeschwitzt in der Metro nach Hause. Nichtsahnend in einer Menge aus Leuten, die vom Konzert- oder Kinobesuch oder von einem Bummel auf dem Newski Prospekt auf dem Heimweg waren.

Da entzündete sich nur wenige Meter von mir wie aus dem Nichts ein Konflikt: Eine Rentnerin bat in vorwurfsvoll-belehrendem Ton einen Mann in der Sitzbank gegenüber, er solle die Technomusik leiser stellen, die in seinem Kopfhöhrer pulsierte. Der Angesprochene sah zuerst nur glasig geradeaus. Dann nahm er plötzlich die Stöpsel aus den Ohren und begann die Frau zu beschimpfen.

«Du willst mir wohl Benehmen beibringen, Alte!? Willst mir sagen, was ich zu tun und zu lasssen habe!?» Er stand auf und lehnte sich bedrohlich zu der Frau hin, die verängstigt schwieg. «Zuerst blöd anmachen und jetzt schweigen, he!? Ich werd Dir gleich die Haare auf deinem Kopf und in deinen Ohren rasieren!» Schwankend ging er auf sie zu, verfolgt von den schockierten Blicken fein gekleideter Damen und ihren Begleitern. «Warum haben sie keinen Achtung vor dem Alter!?» So kam es plötzlich aus einer anderen Ecke. Der angesprochene Rohling wandte den Kopf und ging auf den kleinen älteren Herr mit Brille zu, der jetzt allein stand. «Ich werd Dir mal Achtung beibringen!»

Da stürzten sich plötzlich zwei junge Männer – ein grosser und ein kleiner – auf den Aggressor und begannen ihn nach Strich und Faden zu verhauen. Er war so überrascht, dass er sich kaum verteidigte. Überall fuhren die Fäuste der beiden Rächer mit voller Wucht hinein, und ein paar mal knackte es böse. Dann lag der Mann regungslos und mit blutverschmiertem Mund am Boden, wo er noch Fusstritte an den Kopf und in die Seite erhielt bis jemand die Schläger zur Seite zog.

Entsetzt und gleichzeitig erleichtert starrten alle im Wagen auf die Szene. Dann hielt der Zug – angekommen. Der Mann wurde auf den Perron geschleift, seine Tasche flog ihm hinterher – Problem gelöst. Ich musste an dieser Station aussteigen und beobachtete den Niedergeschlagenen eine Weile aus sicherem Abstand, um zu verstehen, ob Hilfe nötig sei. Doch nach kurzer Zeit richtete er sich stöhnend auf und fasste nach seiner Tasche. Er war mir unheimlich, und ich liess ihn stehn.

Woher kam diese Aggression – nicht nur bei jenem, der die Frau angerempelt hatte, sondern viel mehr bei den beiden «Beschützern»? Der erste war einfach frustriert und wahrscheinlich besoffen. Aber die Brutalität der beiden anderen schien mir so absolut masslos! Sie waren kaum zu stoppen gewesen.

Als hätten sie das ganze Leben lang auf diesen Moment gewartet, um einmal für das Gute und Edle zu kämpfen. Eine Frau war beleidigt worden, und sie hatten die Schmach getilgt – auf eine altmodisch-heroische Weise. Wie die Musketiere, die mit ihren Degen den Bösewicht hinrichten, weil er das weisse Taschentuch des Burgfräuleins in den Schmutz geworfen hat. In Russland kann ein echter Mann eben noch prügeln, aber von erster Hilfe braucht er nichts zu verstehen.

 


Eugen von Arb,
9.8.2015, 114. Jahrgang, Nr. 221.

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